„Hohenheim-Bakterium“ könnte Gesundheit von Nutztieren verbessern

Durch | Dezember 16, 2024

Mehrere neu identifizierte Bakterien im Dünndarm von Hühnern könnten in Zukunft die Gesundheit und Futterverwertung von Nutztieren positiv beeinflussen. Den Trivialnamen „Hohenheim-Bakterium“ (Ligilactobacillus hohenheimensis) erhielt eine der Spezies zu Ehren der Universität, wo sie von der mexikanischen Doktorandin Bibiana Rios Galicia entdeckt wurde.

Credits: Alexas Fotos/pexels
Credits Alexas Fotospexels

Ligilactobacillus hohenheimensis sp. nov. ist eine von sieben entdeckten Bakterienspezies, die in der neuen Gattung Faecalispora beschrieben werden. Sie alle sind Teil eines bakteriellen Mikrokosmos im Verdauungstrakt von Nutztieren, wo sie einen bedeutenden Einfluss auf Gesundheit, Verhalten und Wohlergehen der Tiere ausüben. Wie Nutztiere und ihr Mikrobiom sich gegenseitig beeinflussen, ist ein wesentlicher Forschungsschwerpunkt der Universität Hohenheim und des Hohenheim Centers for Livestock Microbiome Research (HoLMiR).

Die Bakterium-Sammlung wird bei minus 80 Grad Celsius aufbewahrt – 119 Grad kälter als die Lebensumgebung, in der Galicia die neuen Mikroorganismen entdeckte: im Dünndarm von Haushühnern. Viele Details über das Leben dort müssten zwar noch erforscht werden, heißt es in einer aktuellen Pressemitteilung. Fest stehe allerdings jetzt schon: Es ist eine Lebensgemeinschaft, von der das Haushuhn als Gastgeber stark profitiert.

Als nützlich hätten sich die neuen Bakterien aus ganz verschiedenen Gründen erwiesen. „Die acht neu isolierten Bakterienspezies unterstützen das Huhn, um Energie aus der Nahrung zu ziehen“ erklärt Prof. Dr. Jana Seifert von der Universität Hohenheim. Die Leiterin des Fachgebietes „Funktionelle Mikrobiologie bei Nutztieren“ ist eine von zwei Expertinnen, die Rios Galicia bei ihrer Doktorarbeit betreuten.

„Aus dem Erbgut der Faecalispora-Bakterien können wir ablesen, dass sie Eiweißstoffe und Kohlenhydrate aus dem Hühnerfutter aufnehmen, um Essigsäure und Buttersäure zu produzieren“, ergänzt Prof. Dr. Amélia Camarinha Silva, die zweite Betreuerin von Dr. Rios Galicia und Leiterin des Fachgebietes „Mikrobielle Ökologie bei Nutztieren“.

Essigsäure sei ein wichtiger Energielieferant, den das Huhn über die Darmschleimhaut aufnehmen könne. Bakterien, die Buttersäure im Darm produzieren, seien wichtig für die Gesundheit des Tieres. Dies gelte nicht nur für Tiere, sondern auch für Menschen.

Sehr speziell sei dagegen Ligilactobacillus hohenheimensis. „Dieses Bakterium produziert Proteine, die zum Beispiel für die Kommunikation mit dem Immunsystem oder den Hormonhaushalt des Huhnes wichtig sein könnten“, berichtet Entdeckerin Galicia.

Was die eigene Ernährung und Lebensumwelt betrifft, sei der Mikroorganismus ausgesprochen wählerisch: „Der Blick ins Erbgut zeigt uns, dass es sich hauptsächlich von Laktat, Malat und anderen Abbauprodukten ernährt, die entstehen wenn das Huhn und andere Bakterien im Dünndarm Pflanzenfasern und Zellulose verdauen.“ Auch seine sonstigen Ansprüche seien wohl ganz speziell auf die Umweltbedingungen im Dünndarm des Haushuhns angepasst. „Wir gehen deshalb davon aus, dass es sich um ein hochspezialisiertes Bakterium handelt, das sich ideal auf Hühner als Wirtstiere angepasst hat.“ In dieser Umgebung seien Ligilactobacillus hohenheimensis und die Faecalispora-Bakterien nicht allein. „Wir wissen, dass Menschen und Tiere in ihrem Verdauungstrakt Millionen und Milliarden von Mikroorganismen beherbergen“, sagt Prof. Dr. Camarinha Silva. Dabei wird zunehmend bekannt, wie sehr sich dieses Mikrobiom nicht nur auf Gesundheit und Wohlbefinden, sondern auch auf Stimmungen von Mensch und Tier auswirken.

„An der Universität Hohenheim erforschen wir deshalb intensiv, wie sich Mikrobiom und landwirtschaftliche Nutztiere gegenseitig beeinflussen“, erklärt Prof. Dr. Seifert. Oft handelt es sich dabei um Grundlagenforschung. Mittelfristig wird sich diese jedoch als sehr vorteilhaft erweisen, sind die Forscherinnen überzeugt.

„Das Mikrobiom ist ein Schlüssel dafür, dass Nutztiere sich wohlfühlen“, sagt Prof. Dr. Camarinha Silva. „Es hilft uns, Tiere so zu ernähren und Rassen zu züchten, die das Futter optimal verwerten. Das spart wichtige Ressourcen. Mit mehr Wissen über das Mikrobiom können wir auch neue Nahrungsquellen aus Reststoffen der Nahrungsmittelproduktion erschließen. Und wir haben einen Hebel, um z.B. den Methanausstoß zu senken, mit dem vor allem Wiederkäuer das Klima negativ beeinflussen.“

Möglicherweise ließe sich über das Mikrobiom auch Einfluss auf Tierverhalten und mögliche Verhaltensstörungen nehmen: zum Beispiel wenn Hühner nach Federn picken oder Schweine nach den Schwänzen von Artgenossen schnappen. „Auf jeden Fall hat das Zusammenspiel von Mikrobiom und Nutztier einen Einfluss darauf, ob die Tiere robust und gelassen oder nervös und stressanfällig sind“, so Prof. Dr. Seifert.

In etwa einem Jahr eröffnet die Universität Hohenheim deshalb einen eigenen Forschungskomplex zu diesem Thema. Das Hohenheim Center for Livestock Microbiome Research – kurz: HoLMiR – bietet europaweit einzigartige Labore und Tierhaltungsanlagen.

HINTERGRUND HoLMiR

Das „Hohenheim Center for Livestock Microbiome Research (HoLMiR)“ erforscht die Wechselwirkungen zwischen Nutztieren und den Abermilliarden Mikroorganismen in ihrem Verdauungstrakt, um Tierwohl, -gesundheit und Umweltauswirkungen zu verbessern. Diese Grundlagenforschung könnte die Basis für künftige Anwendungen darstellen und so z.B. zur Reduktion von Antibiotika und der Züchtung robuster, genügsamer Rassen beitragen.
Insgesamt zehn Arbeitsgruppen bündeln die Expertise aus den Bereichen Tierernährung, Mikrobiologie, Genetik, Tierzucht, Verhaltens- und Tierphysiologie, Biostatistik und Bioinformatik. Es bietet europaweit einzigartige Arbeitsbedingungen durch zwei Neubauten mit Tierhaltung und HighTech-Laboren. Bund und Länder fördern das Leuchtturm-Projekt mit insgesamt 54 Mio. €. Die geplante Eröffnung findet im Jahr 2025 statt.


Tierversuche in Hohenheim

Für das Forschungsprojekt wurden Dünndarm-Abschnitte von 16 Hühnern verwendet. Dabei handelt es sich um Tiere, die bereits für ein anderes Forschungsprojekt getötet worden waren, so dass für dieses Projekt keine zusätzlichen Tiere verwendet wurden.
Im Jahr 2022 meldete die Universität Hohenheim insgesamt 5.456 abgeschlossene Tierversuche. 85,3 % der Tierversuche hatten einen leichten Schweregrad wie z.B. Blut abnehmen. 2,9 % hatten einen mittleren und 0,3 % einen hohen Schweregrad. Bei 8,8 % wurden die Versuchstiere getötet, um z.B. Organe zu entnehmen.
Die häufigsten Versuchstiere waren Hühner (68,3 %), gefolgt von Schafen (13,6 %) und Mäusen (11,8 %). Die Statistik für das Jahr 2023 befindet sich in Vorbereitung.

Originalpublikation

International Journal of Systematic and Evolutionary Microbiology: https://www.microbiologyresearch.org/content/journal/ijsem/10.1099/ijsem.0.006210
Weitere Veröffentlichung zur Methodik: Naithani H, Rios-Galicia B, Camarinha Silva A, Seifert J. (2024) Strategies to enhance cultivation of anaerobic bacteria from gastrointestinal tract of chicken. Journal of Visualized Experiments (JOVE). 10:207, e66570, doi: 10.3791/66570.

Lesen Sie auch

Videoüberwachung bei Schlachtungen: Projekt Tierwohl-KI ist abgeschlossen | Pugnalom

UBA prüft Aufnahme der Landwirtschaft in Emissionshandel | Pugnalom


Entdecke mehr von Pugnalom

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

Autoren-Avatar
LabNews Media LLC
LabNews: Biotech. Digital Health. Life Sciences. Pugnalom: Environmental News. Nature Conservation. Climate Change. augenauf.blog: Wir beobachten Missstände

Kommentar verfassen