In den Karpaten Rumäniens, einem der letzten Refugien für Europas Urwälder, tobt ein stiller, aber verheerender Krieg gegen die Natur. Illegale Abholzung bedroht nicht nur die einzigartige Biodiversität dieser Region, sondern hat auch weitreichende Folgen für das Klima in Europa. Während westliche Firmen in den Skandal verwickelt sind, bleibt die Europäische Union (EU) auffallend untätig, obwohl sie Maßnahmen eingeleitet hat. Die Zerstörung der Karpatenwälder ist ein komplexes Geflecht aus Korruption, wirtschaftlichen Interessen und mangelnder politischer Durchsetzungskraft – mit katastrophalen Konsequenzen für Umwelt und Klima.
Ein Milliardengeschäft mit gestohlenem Holz
Rumänien beherbergt schätzungsweise zwei Drittel der verbliebenen Ur- und Naturwälder der EU außerhalb Skandinaviens, etwa 525.000 Hektar, von denen rund 300.000 Hektar als Natura-2000-Gebiete geschützt sind. Diese Wälder, insbesondere im Făgăraș-Gebirge, im Maramureș und im Nationalpark Domogled, sind Heimat für Bären, Wölfe, Luchse und eine Vielzahl seltener Pflanzenarten. Doch die Realität vor Ort steht in krassem Widerspruch zu ihrem Schutzstatus. Laut offiziellen Schätzungen werden jährlich etwa 20 Millionen Kubikmeter Holz illegal geschlagen – eine Menge, die die legale Ernte von 18 Millionen Kubikmetern übersteigt. Diese Zahlen verdeutlichen das Ausmaß eines milliardenschweren Geschäfts, das von einer sogenannten „Holzmafia“ angetrieben wird.
Westliche Unternehmen, darunter der österreichische Holzriese HS Timber Group (ehemals Schweighofer) und sogar Möbelgiganten wie Ikea, stehen im Verdacht, von diesem illegalen Holzhandel profitiert zu haben. Recherchen zeigen, dass Unternehmen wie Schweighofer wissentlich Holz aus illegalen Quellen akzeptiert haben, wie ein Undercover-Video der Environmental Investigation Agency (EIA) belegt. Obwohl einige Firmen mittlerweile Tracking-Systeme eingeführt haben, bleiben Schlupflöcher bestehen. Illegales und legales Holz wird in Lagern vermischt, wodurch die Rückverfolgbarkeit verloren geht. So gelangt das Holz aus den Karpaten in den EU-Binnenmarkt, teilweise auch nach Deutschland, wo die Bundesregierung zugibt, dass sie den Import illegalen Holzes nicht ausschließen kann.
Die Machenschaften der Holzindustrie werden durch Korruption und gefälschte Dokumente erleichtert. In den Jahren 2000 bis 2010, während der Rückerstattung von Waldflächen an private Eigentümer, wurden schätzungsweise die Hälfte der Flächen mit gefälschten Papieren übertragen. Diese illegal erworbenen Flächen wurden oft sofort abgeholzt, um schnelle Profite zu erzielen. Forstbeamte markieren zudem gesunde Bäume für die Fällung oder geben Borkenkäferbefall als Vorwand an, obwohl Satellitenbilder zeigen, dass diese Begründungen oft vorgeschoben sind.
Die EU: Zahnlos trotz Vertragsverletzungsverfahren
Die Europäische Kommission hat die illegale Abholzung in Rumänien nicht ignoriert, doch ihre Maßnahmen bleiben wirkungslos. Bereits 2020 leitete die EU ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Rumänien ein, nachdem Organisationen wie EuroNatur, Agent Green und ClientEarth massive Verstöße gegen die EU-Naturschutzrichtlinien (FFH-Richtlinie) dokumentiert hatten. Die Kommission forderte Rumänien auf, die Abholzung in Natura-2000-Gebieten zu stoppen, und drohte mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Trotz einer Frist, die im Dezember 2024 auslief, hat die EU den Fall nicht vor den EuGH gebracht, und die Abholzung geht unvermindert weiter.
Naturschutzorganisationen kritisieren die Untätigkeit der EU scharf. „Es ist empörend, dass Rumänien ohne mit der Wimper zu zucken geschützte Wälder abholzt“, sagt Gabriel Păun von Agent Green. Die Organisationen fordern ein Moratorium für die Abholzung und eine strengere Durchsetzung der EU-Gesetze. Der Fall des Białowieża-Urwalds in Polen, wo die EU 2018 erfolgreich gegen illegale Abholzung vorging, zeigt, dass entschlossenes Handeln möglich ist. Doch in Rumänien scheint die Kommission zu zögern, was Naturschützer als „Bankrotterklärung für das Natura-2000-Netz“ werten.
Umweltfolgen: Ein Verlust für die Biodiversität
Die Umweltfolgen der illegalen Abholzung sind dramatisch. Die Karpatenwälder sind ein Hotspot der Biodiversität, mit Arten, die in anderen Teilen Europas längst ausgestorben sind. Kahlschläge zerstören Lebensräume für Tiere wie den Schwarzstorch oder den Luchs und führen zu Bodenerosion, die die natürliche Regeneration der Wälder verhindert. Nationalparks wie Domogled, die nach internationalen Standards zu 75 % streng geschützt sein sollten, werden von der staatlichen Forstbehörde Romsilva kommerziell ausgebeutet. Nur ein rumänischer Nationalpark erfüllt diese Kriterien.
Die Zerstörung dieser Wälder hat auch sozioökologische Folgen. In Regionen wie Suceava verschmutzen illegale Abholzungen Flüsse durch Schlammablagerungen, was lokale Fischzuchtbetriebe wie die der Brüder Ilie und Dimitri Bucsa zerstört hat. Zudem sind die Wälder ein natürlicher Schutz gegen Überschwemmungen und Dürren – ein Verlust, der die Region anfälliger für extreme Wetterereignisse macht.
Klimafolgen: Ein Schlag gegen Europas Klimaziele
Die Karpatenwälder spielen eine Schlüsselrolle im Kampf gegen den Klimawandel. Alte Buchenwälder speichern enorme Mengen Kohlenstoff, mehr als viele andere Ökosysteme. Laut einer Greenpeace-Studie sind in den letzten zwei Jahrzehnten über 7.350 Quadratkilometer Waldfläche in den Karpaten verloren gegangen – eine Fläche fast dreimal so groß wie das Saarland. Dieser Verlust setzt gespeicherten Kohlenstoff frei und schwächt die Fähigkeit der Wälder, CO₂ zu binden, was Europas Klimaziele untergräbt.
Die Abholzung verstärkt zudem regionale Klimafolgen. Wälder regulieren das lokale Klima, indem sie Feuchtigkeit speichern und Temperaturen stabilisieren. Ihre Zerstörung führt zu stärkeren Hitzewellen und Dürren, die Landwirtschaft und Wasserversorgung in Südosteuropa bedrohen. Der Verlust der Wälder gefährdet somit nicht nur Rumänien, sondern hat weitreichende Auswirkungen auf das Klima in ganz Europa.
Fazit: Ein Weckruf für Europa
Die illegale Abholzung in den rumänischen Karpaten ist eine Umwelttragödie mit globalen Auswirkungen. Westliche Firmen, die von Korruption und mangelnder Kontrolle profitieren, tragen eine Mitverantwortung, während die EU ihre Rolle als Hüterin der Naturschutzgesetze nicht konsequent wahrnimmt. Ohne ein sofortiges Moratorium und strengere Sanktionen drohen die letzten Urwälder Europas in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren zu verschwinden. Es ist an der Zeit, dass die EU handelt, bevor dieses einzigartige Naturerbe unwiederbringlich verloren geht – und mit ihm ein unverzichtbarer Verbündeter im Kampf gegen den Klimawandel.
Entdecke mehr von Pugnalom
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

