Willkommen in der Welt der „Herausforderungen“: „Probleme“ gibt es nicht mehr – ein Kommentar

Durch | März 12, 2025

Das Ersetzen des Wortes „Problem“ durch „Herausforderung“ ist in den letzten Jahren zu einem weit verbreiteten sprachlichen Phänomen geworden. Diese stille Wortdiktatur, die oft als positiver und lösungsorientierter wahrgenommen wird, birgt die Gefahr einer subtilen Verharmlosung und Verniedlichung ernsthafter Missstände.

Credits: mart production, pexels
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In der Geschäftswelt und im Management wird diese Praxis häufig als Mittel zur Motivation und positiven Einstellung genutzt. Während dies in einigen Kontexten durchaus sinnvoll sein kann, wird die inflationäre Verwendung von „Herausforderung“ zunehmend kritisch betrachtet. Besonders problematisch wird es, wenn diese Sprachpraxis auf gesellschaftliche und wissenschaftliche Bereiche übergreift, wo präzise und ungeschönte Beschreibungen von Problemen essentiell sind.

In der Wissenschaft kann diese sprachliche Verschleierung dazu führen, dass drängende Fragen wie die Notwendigkeit gesellschaftlichen Umdenkens – weg von der auf Massenkonsum ausgelegten Lebensweise – und der damit verbundenen Wandlung in Industrie und Landwirtschaft zu einer (auch international) sozial gerechten Wirtschaftsweise, die Stoffkreisläufe nutzt, auf Regionalität setzt und ökologische Belange berücksichtigt, ignoriert werden. Der Positivismus des Wortes „Herausforderungen“ ignoriert wissentlich die gesamtgesellschaftlichen Baustellen: Sie werden nicht mehr in ihrer vollen Tragweite erfasst und suggerieren, dass es allein technologischer Lösungsansätze bedarf, um CO2 zu mindern, das Artensterben zu stoppen, das Ernährungsproblem der Weltbevölkerung und die dramatischen weltweiten Ungerechtigkeiten im Hinblick auf soziale Unterschiede, den Zugang zu Bildung und das Ausufern von Korruption zu minimieren. Wenn etwa die Klimakrise als „Herausforderung des Klimawandels“ bezeichnet wird, könnte dies den Ernst der Lage und die Notwendigkeit sofortigen Handelns verschleiern. Ähnlich verhält es sich bei der Beschreibung von Forschungshindernissen oder ethischen Dilemmata in der Wissenschaft.

Die Verwendung von „Herausforderung“ anstelle von „Problem“ kann auch zu einer Verschiebung der Verantwortung führen. Während ein Problem oft nach einer kollektiven oder institutionellen Lösung verlangt, erscheint eine Herausforderung eher als individuelle Bewältigungsaufgabe. Dies kann dazu führen, dass strukturelle Probleme individualisiert und damit entpolitisiert werden.

Es ist wichtig, dass Sprache präzise und ehrlich bleibt, besonders wenn es um die Benennung und Analyse gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Probleme geht. Die Verwendung des Wortes „Problem“ dort, wo es angebracht ist, ermöglicht eine klare Kommunikation und fördert ein realistischeres Verständnis der Situation. Dies ist oft der erste Schritt zur Entwicklung effektiver Lösungsansätze.

Ein bewusster und differenzierter Umgang mit Sprache ist daher unerlässlich, um komplexe Realitäten angemessen zu erfassen und zu kommunizieren.

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