In zahlreichen Städten und Gemeinden Deutschlands ist das sogenannte „Kappen“ von Bäumen nach wie vor gängige Praxis. Dabei wird ein großer Teil der Baumkrone radikal entfernt, mit vielen und großen Schnittwunden, oft bis ins alte Holz hinein. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass dieses Vorgehen nicht nur die Lebensdauer von Bäumen erheblich verkürzt, sondern auch irreversible Schäden ökologischer Natur nach sich zieht und die Wohlfahrtsleistungen von Bäumen ignoriert.

Studien, etwa von der Technischen Universität München (TUM), zeigen, dass der radikale Kronenschnitt die Photosynthese stark einschränkt, da die Blattmasse, die für die Energieproduktion des Baumes entscheidend ist, drastisch reduziert wird. Dies schwächt die Widerstandskraft gegen Krankheiten, Schädlinge und Umweltstress, wie er gerade zu Zeiten des Klimawandels häufiger denn je auftritt. Die Deutsche Gesellschaft für Baumpflege (DGB) weist immer wieder darauf hin, dass der sogenannte Kopfschnitt zu einem erhöhten Risiko von Fäulnis an den Schnittstellen führt, da die großen Wundflächen oft nicht ausreichend verheilen. Während – wie auf unserem Foto – manche Bäume bereits im Folgejahr nach dem Eingriff abgestorbene Areale zeigen, versuchen andere Bäume, den Verlust mit einem Vielfachaustrieb dünner und schwächlicher Zweige zu kompensieren – praktisch ein Akt der Verzweiflung, um nicht zu verhungern. Diese Neutriebe allerdings sind an der Basis so schlecht verankert, dass das Bruchrisiko selbst bei geringeren Windstärken erheblich steigt. Langfristig verkürzt der radikale Schnitt der Krone die Lebensdauer von Bäumen – ein kritischer Verlust, da gesunde Stadtbäume in Zeiten des Klimawandels unverzichtbar sind.

Ökologisch gesehen schadet das Kappen auch der Umwelt. Laut Umweltbundesamt (UBA) bieten gesunde Baumkronen Lebensraum für zahlreiche Vogelarten, Insekten und Kleinsäuger. Durch den radikalen Schnitt werden diese Habitate zerstört, was die Artenvielfalt in ländlichen und urbanen Gebieten gefährdet. Zudem wird die Fähigkeit der Bäume, CO₂ zu binden und Feinstaub zu filtern, stark eingeschränkt. Eine Untersuchung des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) zeigt, dass ein einzelner ausgewachsener Baum pro Jahr bis zu 10 Tonnen CO₂ binden kann. Die Wohlfahrtsleistungen von Bäumen sind essenziell, besonders im Kontext des Klimawandels. Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) können Stadtbäume die Temperatur in urbanen Hitzeinseln um bis zu 4 °C senken, indem sie Schatten spenden und durch Verdunstung kühlen. Dies ist angesichts zunehmender Hitzewellen von unschätzbarem Wert. Monetär betrachtet schätzt das UBA den Wert eines Stadtbaums über seine Lebenszeit auf bis zu 50.000 Euro, basierend auf Leistungen wie Luftreinigung (jährlich bis zu 100 kg Feinstaubbindung), CO₂-Speicherung und Kühlung. Diese Berechnungen berücksichtigen auch die Reduktion von Gesundheitskosten durch verbesserte Luftqualität und geringere Hitzebelastung. Gekappte Bäume können diese Leistungen nur stark eingeschränkt oder gar nicht erbringen, was einen erheblichen wirtschaftlichen Verlust darstellt.

Ästhetisch betrachtet hinterlässt das Kappen von Bäumen eine trostlose Szenerie. Wissenschaftliche Arbeiten der Universität Kassel zur Wahrnehmung von Stadtgrün zeigen zwar, dass radikal beschnittene Bäume als unnatürlich und abweisend empfunden werden – allerdings eher von der (groß-)städtischen Bevölkerung. Was den einen als Sinnbild menschlicher Missachtung gegenüber der Natur gilt, erscheint so manchen Landbewohnern als angemessene „Pflege“: Gerade ein größerer oder älterer Baum wird häufig als Bedrohung oder zumindest als Quelle der „Verschmutzung“ mit Laub oder Früchten wahrgenommen.
Die Praxis des Kopfschnitts wird oft auch aus Unwissenheit oder vermeintlicher Kosten- und Zeiteinsparung fortgesetzt. Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen jedoch, dass fachgerechte Baumpflege, wie selektiver, restriktiver Rückschnitt und regelmäßige Kontrolle langfristig kosteneffizienter ist, da sie die Lebensdauer der Bäume verlängert und Folgekosten durch Krankheiten oder Baumfällungen reduziert.
Hinzu kommt ein weiterer fataler Aspekt: Vor allem in ländlichen Gebieten animiert die sichtbare Praxis der Kommunen Privatpersonen dazu, ihre Bäume ähnlich zu behandeln. Sie nehmen das Vorgehen der Bauhöfe oder Dienstleister als Vorbild und imitieren aus Unkenntnis diese ökologisch wie physiologisch fatale Praxis. Dadurch entsteht ein Kreislauf von Fehlentscheidungen, der sich nur durch entsprechenden Willen, die Aufklärung aller Beteiligten und eine solide Ausbildung der Ausführenden durchbrechen ließe. Doch die Verantwortlichen scheinen diese Notwendigkeit zu ignorieren, da ihnen offenbar selbst ein entsprechendes Bewusstsein für die Problematik fehlt.
Stadtverwaltungen sollten daher nicht nur ihre Praktiken überdenken, sondern auch die Bevölkerung über die negativen Folgen des Kopfschnitts aufklären. Nur durch fachgerechte Pflege und den Erhalt natürlicher Baumkronen können die ökologischen, ästhetischen und wirtschaftlichen Vorteile von Bäumen voll ausgeschöpft werden: Bäume als unverzichtbare Verbündete im Kampf gegen den Klimawandel. Die Zeit für eine Reform der Baumpflege ist längst überfällig – für die Natur, das Klima und die Lebensqualität der Menschen.
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