In mehreren Studien hat das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE das Flächenpotenzial für Agri-Photovoltaik – die Kombination von landwirtschaftlicher Nutzung mit Solarstromerzeugung für ganz Deutschland erhoben. Erstmals wurden dabei alle Arten landwirtschaftlicher Flächen betrachtet und in einem Entscheidungsprozess mit einer Vielzahl unterschiedlicher Kriterien optimale Standorte identifiziert. Bereits auf den am besten geeigneten Flächen könnten demnach 500 Gigawatt Peak Solarleistung installiert werden. Das übertrifft die Photovoltaik-Ausbauziele Deutschlands für 2040. Das Institut erhob des Weiteren das Agri-PV-Potenzial für einzelne Landkreise und Städte.

Basis der aktuellen Studien des Fraunhofer ISE sind Geografische Informationssysteme, deren Flächendaten nach zwei Kriterienkatalogen bewertet wurden. In einem mehrstufigen Verfahren wurden die optimalen Standorte identifiziert. „Es ist die erste Studie in Deutschland, die für die Identifikation geeigneter Standorte alle Arten landwirtschaftlicher Flächen betrachtet, also Dauergrünland, Ackerfläche und Dauerkulturen wie Obstbau, Wein oder Beeren“, erklärt Studienautorin Salome Hauger. Agri-Photovoltaik, kurz Agri-PV, ermöglicht eine effiziente Doppelnutzung der landwirtschaftlichen Fläche.
Der Kriterienkatalog berücksichtigt geografische Faktoren sowie rechtliche und behördliche Anforderungen und erfasst das regulatorische und technisch mögliche Potenzial. Er unterscheidet dabei zwei Szenarien: Szenario 1 schließt Flächen aus, die wegen harter Restriktionen wegfallen, z.B. Naturschutzgebiete. Szenario 2 schließt Flächen nach harten und weichen Restriktionen (z.B. Flora-Fauna-Schutzgebiete) aus, und ist daher das naturschutzfreundlichere. In der Potenzialanalyse ergeben sich in Szenario 1 7.900 Gigawatt Peak und in Szenario 2 5600 Gigawatt Peak installierbare Photovoltaik-Kapazität – ein Vielfaches der für die Klimaneutralität Deutschlands im Jahr 2045 benötigten Menge.
Der zweite Kriterienkatalog umfasst politisch-wirtschaftliche und agrarökonomische Eignungskriterien, um besonders geeignete Standorte zu finden. In diesem Schritt wurde betrachtet, welche Flächen besonders geeignet sind, etwa aufgrund der Solareinstrahlung, des vorhandenen Netzeinspeisepunkts oder weil Dauerkulturen wie Wein oder Obst besonders von Synergieeffekten profitieren.
Um eine fundierte Entscheidungsgrundlage zu schaffen, führten Expertinnen und Experten aus Landwirtschaft, Wissenschaft, von Verteilnetzbetreibern und Projektierungsbüros eine Gewichtung der Kriterien durch. Im Ergebnis wurde ein Bodeneignungsindex berechnet, um die Gebiete in fünf Eignungsklassen einzuordnen, von am besten bis am wenigsten geeignet. „Ein wichtiges Ergebnis der Studie ist die Rolle des Netzausbaus: Das Fehlen von Netzanschlusspunkten ist für viele Flächen ein einschränkender Faktor“, so Salome Hauger.
Nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch lokal lässt sich mit Hilfe von Geoinformationssystem-basierten Analysen das Potenzial für Agri-PV bis auf die einzelne Parzelle berechnen. Dazu arbeiten die Forschenden des Fraunhofer ISE mit Landkreisen zusammen und beziehen Netzdaten der lokalen Verteilnetzbetreiber mit ein. So untersuchte das Fraunhofer ISE im Projekt „AgriChance“ die ländlichen Gebiete des Stadtstaates Hamburg. Im Rahmen von drei Szenarien wurden die identifizierten Flächen unter techno- und agrarökonomischen Gesichtspunkten klassifiziert. Demnach sind insbesondere Dauerkulturen im Alten Land und in den Vier- und Marschlanden (bis zu 620 Hektar) optimal geeignet. Auch das Potenzial für Gewächshäuser ist vielversprechend, hier könnten auf 160 Hektar bestehenden Gebäuden fast 50 Megawatt Peak installiert werden.
In einer weiteren Studie für die Landkreise Ahrweiler und Breisgau-Hochschwarzwald berücksichtigte das Forschungsteam verschiedene Faktoren wie Raumplanungsdaten, reale Rasterdaten und Fruchtfolgen. Die Ergebnisse zeigen ein beträchtliches Potenzial für Agri-PV in beiden Landkreisen. Die am besten geeigneten Flächen können mit potenziellen Anlagen 16 beziehungsweise 12 Prozent des derzeitigen Energieverbrauchs der Landkreise erzeugen. Die Agri-PV kann somit einen wichtigen Beitrag zur Entschärfung von Landnutzungskonflikten in landwirtschaftlichen Gebieten leisten.
Originalpublikation
https://doi.org/10.1016/j.rser.2025.115469
Kommentar
Es ist ein politischer Skandal, dass nach wie vor der Fokus der alternativen Stromerzeugung auf der Inanspruchnahme von landwirtschaftlichen Flächen liegt. Denn Deutschland verfügt über eine enorme Fläche, die bislang größtenteils ungenutzt bleibt: die Dachflächen. Die gesamte Dachfläche Deutschlands wird auf rund 400.000 Hektar geschätzt. Allein bei der Gesamtzahl der Ein- und Zweifamilienhäuser beträgt die Dachfläche etwa 600 Millionen Quadratmeter, hinzu kommen riesige Flächen gewerblicher und öffentlicher Gebäude. Wissenschaftliche Berechnungen zeigen, dass rund 362,8 Millionen Quadratmeter Dachfläche in Deutschland noch ungenutzt sind – das entspricht etwa 560.000 Fußballfeldern, oder, falls das besser vorstellbar ist. Das technische Potenzial für Photovoltaik auf deutschen Dächern liegt damit bei rund 400 Gigawatt, was das Fünffache der aktuell installierten Photovoltaikleistung bedeutet und einen entscheidenden Beitrag zur Energiewende leisten könnte – wenn sie denn politisch gewollt wäre.
Denn trotz dieses enormen Potenzials werden in Deutschland weiterhin wertvolle Ackerflächen für den Bau von Solaranlagen genutzt. Damit wird die eigentliche Bestimmung wertvoller Ackerflächen – nämlich die Produktion von Nahrungs- und Futtermitteln – ad absurdum geführt. Man sollte sich vor Augen führen, dass Deutschland bei weitem nicht nur die eigenen landwirtschaftlichen Flächen zur Versorgung nutzt: Rund sieben Millionen Hektar außerhalb der eigenen Landesgrenzen werden für den Import von Agrarrohstoffen und Lebensmitteln belegt, was etwa 30 Prozent der gesamten für die Ernährung der Bevölkerung benötigten Fläche entspricht.
Die Politik fördert zwar zunehmend sogenannte Agri-Photovoltaik, bei der eine Doppelnutzung von Fläche, etwa für Stromerzeugung und Landwirtschaft, möglich ist. Doch reine Solarparks auf landwirtschaftlich nutzbaren Flächen führen dazu, dass diese Flächen für den Anbau von Lebensmitteln verloren gehen. Die Nutzung von Dachflächen für Solarenergie wäre daher nicht nur ökologisch sinnvoller, sondern auch gesellschaftlich weniger konfliktträchtig.
Dass das Potenzial der Dachflächen bislang kaum ausgeschöpft wird, hat viele Gründe. Technisch und wirtschaftlich sind viele Dächer durchaus geeignet, doch das Monopol der Stromkonzerne, rechtliche Hürden, bürokratische Auflagen und fehlende Anreize bremsen den Ausbau. Besonders bei Miet- und Gewerbeimmobilien ist die Nutzung oft kompliziert, da Eigentümer und Nutzer unterschiedliche Interessen verfolgen. Mietverträge, fehlende Investitionsbereitschaft und Unsicherheiten über die zukünftige Nutzung der Dächer spielen eine Rolle. Hinzu kommen strukturelle Interessen etablierter Stromkonzerne, die durch eine dezentrale Stromerzeugung auf Dächern einen Großteil ihrer Marktmacht verlieren würden: Dezentrale Energieversorgung stärkt die Unabhängigkeit der VerbraucherInnen und schwächt zentrale Strukturen – ein Wandel, der politisch nicht gewollt ist. Auch die Angst vor Einnahmeverlusten durch wegfallende Netzentgelte und Stromsteuern hemmt die konsequente Förderung der Dachsolarnutzung.
Dabei gab es in der Vergangenheit ambitionierte Programme zur Förderung von Solaranlagen auf Dächern. Das 1.000-Dächer-Programm in den 1990er Jahren war ein Pilotprojekt, das erstmals bundesweit Anreize für die Installation von Photovoltaikanlagen auf privaten Häusern schuf. Es folgte das 100.000-Dächer-Programm, das von 1999 bis 2003 lief und durch zinsgünstige Kredite und garantierte Einspeisevergütungen die Nachfrage nach Solaranlagen steigerte. Diese Programme waren in ihrer Zeit erfolgreich, stießen aber an Grenzen, als die Fördermittel erschöpft waren und die Bürokratie zunahm. Mit dem Auslaufen der Programme fehlte es an einer langfristigen, systematischen Strategie, um das volle Potenzial der Dachflächen zu erschließen. Die politische Priorität verlagerte sich zudem zeitweise auf große Freiflächenanlagen, was den Ausbau auf Dächern weiter bremste.
Die aktuelle Energiepolitik steht vor dem Problem, die Energiewende sozialverträglich und ökologisch sinnvoll zu gestalten. Die Belegung wertvoller Ackerflächen mit Solarmodulen ist dabei ein Irrweg, solange Millionen Quadratmeter Dachfläche ungenutzt bleiben. Eine konsequente Fokussierung auf die Nutzung von Dächern würde nicht nur Konflikte um Flächen entschärfen, sondern auch die dezentrale Energieversorgung stärken und die Abhängigkeit von zentralen Stromkonzernen verringern. Die Potenziale sind vorhanden – es fehlt bislang am politischen Willen, sie konsequent realisieren.
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