Glyphosat: Bayer schwächelt, Menschen und Natur sterben – und noch immer passiert nichts – KOMMENTAR

Durch | April 24, 2025

O-Ton Bayer: „Wir bei Bayer sind davon überzeugt, dass es möglich ist, eine bessere Welt zu schaffen, in der Gesundheit und Ernährung für alle Menschen zugänglich sind – ganz im Sinne unserer Mission „Health for All, Hunger for None“. 

Seit Wochen fiebern Anleger, wie es mit der Bayer-Aktie weitergeht. Beobachter schätzen, dass es im Zuge der anstehenden Hauptversammlung am 25. April noch einmal zu dramatischen Kurswechseln kommt. Auch, dass CEO Bill Anderson auf Grund der milliardenschweren Glyphosatklagen in den USA einen „dunklen Schatten“ über dem Konzern sieht, und offen darüber nachgedacht wird, ob Glyphosat in den USA überhaupt noch verkauft werden soll, macht die Sache für Bayer nicht besser. Was jetzt geschieht, ist allerdings das, was stets den Untergang einläutet: Gier frisst Hirn.

Credits: pugnalom
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Denn offensichtlich hat sich Bayer mit der Übernahme des amerikanischen Glyphosat-Herstellers Monsanto im Jahr 2018 verschluckt. Schon damals lief eine Reihe von Klagen krebskranker Glyphosat-Anwender, und weitsichtige Manager hätten die Tragweite des wachsenden Problems erkennen müssen – zumal der weltweite Verbrauch von Glyphosat laut einer Studie im „Environmental Sciences Europe“ (2017) bei etwa 826.000 Tonnen jährlich liegt; Deutschland trägt mit geschätzt 5.900 Tonnen einen relevanten Anteil bei. Glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel werden hierzulande auf rund 40 Prozent der Felder mindestens einmal pro Jahr eingesetzt – im Raps sind das sogar fast 90 Prozent. Zusätzlich wird Glyphosat als Trocknungsmittel zur sogenannten Krautabtötung (Sikkation) eingesetzt. Wer offenen Auges durch deutsche Lande fährt, wird permanent auf großflächig vergilbte Äcker stoßen: Dies ist das Werk von Glyphosat & Co (Foto). Die konventionelle Landwirtschaft ist süchtig geworden nach einem Stoff, der alles außer die eigens hierfür gentechnisch veränderten Nutzpflanzen vernichtet: „Roundup“ und andere Formulierungen machen tabula rasa im Feld.

Was so häufig eingesetzt wird, muss irgendwo bleiben. Glyphosat gehört zu jenen Chemikalien, die nicht einfach verschwinden, sobald sie ihre Arbeit getan haben. Rückstände in Lebens- und Futtermitteln sind daher längst ein Thema. Und weil die konventionelle Landwirtschaft den Mammutanteil an pflanzlichen und tierischen Produkten liefert, nehmen Mensch und Nutztier praktisch ein Leben lang solche und andere Rückstände auf. Einzeln betrachtet mögen diese unter einem Grenzwert liegen (wie beispielsweise das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) 2014 feststellte). Doch fehlt es nach wie vor an Untersuchungen, wie sich jahre- und jahrzehntelanger Konsum auswirkt, und welche kumulativen und Wechsel-Wirkungen mit anderen ubiquitär vorhandenen Chemikalien und Stoffen auftreten.

Zahlreiche Studien ordnen Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend für den Menschen“ (Gruppe 2A) ein, basierend auf Hinweisen aus Tierstudien und humanen Daten. Insbesondere Non-Hodgkin-Lymphome werden in epidemiologischen Studien wiederholt mit Glyphosat-Exposition in Verbindung gebracht. Andere Forschungsarbeiten zeigen, dass Glyphosat das endokrine System stören und oxidativen Stress in Zellen auslösen kann, was langfristig zu chronischen Erkrankungen beitragen könnte. Auch Leber- und Nierenschäden sowie neurologische Erkrankungen werden diskutiert.

Hinzu kommen die gravierenden ökologischen Auswirkungen von Glyphosat; sie betreffen gleichermaßen Biodiversität wie Boden- und Wasserökosysteme. Studien zeigen, dass Glyphosat die Artenvielfalt in Agrarlandschaften reduziert, indem es nicht nur Zielpflanzen, sondern auch Amphibien, Insekten und Bodenorganismen schädigt. Sie belegen sowohl direkte toxische Effekte wie zum Beispiel Mortalität und Entwicklungsstörungen als auch indirekte Effekte über Verhaltensänderungen, mikrobielle Dysbalance im Verdauungssystem sowie Veränderungen des Glukose- und Fettstoffwechsels. Nicht nur Glyphosat selbst, auch Beistoffe in den glyphosathaltigen Formulierungen wie POEA (Polyethoxylated Tallow Amine = polyethoxilierte Tallowamine) sind toxisch.

Glyphosat kontaminiert Gewässer und Feldraine durch Abfluss und Abdrift. Aquatische Ökosysteme werden destabilisiert, und die Wasserqualität sinkt. Gleichzeitig trägt Glyphosat zu einer weiteren Artenverschiebung, Vereinheitlichung und Verödung bei: Die ohnehin schon durch den massiven Einsatz chemisch-synthetischer Düngemittel stark in Mitleidenschaft gezogene Vielfalt aus Pflanzen und Tieren in den Randbereichen landwirtschaftlicher Nutzflächen wird allmählich durch homogene, artenarme Lebensgemeinschaften ersetzt – was direkte Auswirkungen auf die Häufigkeit und Biodiversität von Bestäubern einschließlich Wild- und Honigbienen hat. Allerorts ist das längst sichtbar: An Stelle von blütenreichen Weg- und Straßenrändern sehen wir Grassteppen, hier und dort durchsetzt mit Brennnesseln, Ackerkratzdisteln oder Ampfer, und augenfälligen Insekten wie Schmetterlingen und Käfern begegnet man in der Feldflur höchstens ausnahmsweise.

Mit der Monsanto-Übernahme hat Bayer also nicht nur die Marktführerschaft bei Glyphosat-haltigen Produkten übernommen, sondern auch die damit verbundenen rechtlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen. Allerdings: Zur Rechenschaft gezogen wird der Konzern in Europa nicht, und ohne entsprechenden öffentlichen Druck ist das auch nicht zu erwarten. Zu viel Geld ist im Spiel. Bereits bei den Verhandlungen hätten die EU-Wettbewerbskommission intervenieren, die involvierten internationalen Kartellämter einschließlich des Bundeskartellamtes einer Fusion nicht zustimmen dürfen – zumal jedem klar gewesen ist, dass ein Zusammenschluss dieser Größenordnung die Wettbewerbsstrukturen im Agrarmarkt auf entscheidende Weise verzerrt und den vielbeschworenen „freien Markt“ bedroht, indem Innovationen verhindert werden, die Preise nach dem Gusto der Konzerne gestaltet und die Verfügbarkeit von alternativen Produkten für Landwirte eingeschränkt werden.

Also läuft es weiter, wie es immer lief: Mehr oder weniger subtil nimmt die Industrie durch von ihr finanzierte Studien Einfluss auf Regulierungsbehörden und unterhält ein Heer an Kommunikationsstrategen, um das Risiko von Glyphosat herunterzuspielen. Insbesondere die Verlängerung der EU-Zulassung für Glyphosat im Jahr 2023, trotz wissenschaftlicher Bedenken, verdeutlicht die Schlagkraft dieser Lobby. Und im Gegensatz zu den USA, wo schwer kranke Landwirte, Gartenbauer und Hausmeister Aussicht auf Erfolg ihrer Klagen mit Regressforderungen in Millionenhöhe haben, schaut Justizia hierzulande weg. Und auch politisch werden gezielt potenzielle Alternativen, wie Agroforstwirtschaft, Vielfalt der Kulturen, weite Fruchtfolge und Zwischenfruchtanbau, Permakultur und urbane Landwirtschaft, mechanische und thermische Unkrautbekämpfung und biologische Ansätze, marginalisiert, was die Abhängigkeit von Glyphosat weiter zementiert und die dringend benötigte Transformation hin zu nachhaltiger Landwirtschaft behindert.


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