Auf zahlreichen Garten-Blogs und -Websites ist von schädlichen Engerlingen die Rede, die dringend bekämpft werden müssten. Allerdings ist eine solche Pauschalverurteilung gefährlich und ignoriert sowohl wissenschaftliche Erkenntnisse als auch ökologische Zusammenhänge.
Pugnalom beleuchtet die tatsächlichen Probleme, die Bestandsentwicklung von Mai- und Junikäfern und die Notwendigkeit, sich von der konventionellen Schädling-Nützling-Dichotomie ab- und einem Verständnis von Naturkreisläufen zuzuwenden.

Die allgemeine kulturelle Erinnerung an Maikäfer (Melolontha melolontha) und Junikäfer (Amphimallon solstitiale) verblasst zusehends. Früher waren diese Käfer ein vertrauter Anblick in ländlichen Gegenden und fanden in zahlreichen Kinderliedern und Geschichten Beachtung. Die Generation unserer Urgroßeltern dürfte sich noch an Zeiten erinnern, als Maikäfer an Hühner verfüttert oder sogar in der Küche verarbeitet wurden: als „Maikäfersuppe“ oder kandiert als Nachtisch.
Waldmaikäfer (Melolontha hippocastani) und Feldmaikäfer (M. melolontha) sind in Mitteleuropa sowie im nördlichen und östlichen Europa verbreitet. In Deutschland treten sie hauptsächlich in der nordbadischen und südpfälzischen Rheinebene sowie der hessischen Rhein‐Mainebene auf. Der wärmeliebende M. pectoralis ist dem Feldmaikäfer sehr ähnlich und kommt nur im Südwesten Deutschlands vor. Maikäfer zeigen die typischen zyklischen Massenvermehrungen, die sogenannten Flugjahre. Der Klimawandel mit seinen steigenden Temperaturen und deutlich längeren Trockenperioden erhöht gerade in den genannten Regionen das Risiko einer Maikäfer- oder Junikäferplage.
Maikäfer und Junikäfer-Engerlinge fressen die Wurzeln von Gräsern, Gehölzen und landwirtschaftlichen Nutzpflanzen. Besonders in warmen und trockenen Jahren kann es während der Flugjahre zu starken Ausfällen in Wiesen, auf Rasen, in Obstanlagen und im Forst kommen. Die Schadensschwelle liegt bei Maikäfer-Engerlingen im Grünland bei 20 bis 40 Stück pro Quadratmeter; bei Junikäfer-Engerlingen bei 50 Stück pro Quadratmeter. Dokumentierte Großschäden treten immer wieder regional in den bekannten Vorkommensgebieten auf, vor allem in Südhessen, in der Rheinebene und in der Südpfalz.
Eine konkrete, flächendeckende Bezifferung der jährlichen Gesamtschäden ist in wissenschaftlichen Studien allerdings kaum zu finden. In Positionspapieren und Berichten werden die Schäden zwar betont, aber meist nur qualitativ beschrieben, so beispielsweise als „hohe Wertverluste in Wald und Weinbau“. Die Ertragsausfälle durch Käfer insgesamt zu beziffern ist deshalb schwierig, da die Probleme komplex sind und von Jahr zu Jahr variieren: Dürre, Stürme und verschiedene Arten von Schaderregern – insbesondere auch Borkenkäfer – wirken in Kombination. Was fehlt, sind konkrete, wissenschaftlich belegte Größenordnungen. So ist zwar von „Teilabsterben von Jungpflanzen“, „periodischen Fraßschäden“ oder „Rückgang des Holzzuwachses“ die Rede – aber es mangelt an bezifferter Kausalität.
Da die Angst vor Totalausfall und finanziellen Einbußen groß ist, werden zur Bekämpfung Insektizide (Neem-Azahl T/S, Dimethoat), Nematoden (z.B. neema-green) oder Pilzpräparate – sie enthalten den Pilz Beauveria brongniartii – („Pilzgerste“, z.B. Melocont GR) eingesetzt. Nicht nur, dass viele Pflanzenschutzmittel auch für HobbygärtnerInnen ohne jeden Sachkundenachweis zur freien Verfügung stehen – sie schaden eben nicht nur den Zielorganismen. Die als besonders ökologisch verträglich eingestuften Nematoden beispielsweise schonen zwar Regenwürmer, Tausenfüßer oder Springschwänze, befallen aber eben nicht nur die Engerlinge von Mai- und Junikäfern, sondern auch jene von Blatthornkäfern. In Deutschland zählen zu dieser Käferfamilie 160 Arten, darunter 43 Arten, die vom Aussterben bedroht sind, 14 gefährdete Arten und 20 Arten, die bereits ausgestorben sind.
Insektizide wiederum vergiften unselektiv sämtliche Insekten, die zum Zeitpunkt des Gifteinsatzes aktiv sind. So schreibt der NABU Baden-Württemberg, dass die begifteten Eichenwälder zu großen Teilen in Natura 2000-Gebieten liegen, in denen gefährdete Tierarten letzte Rückzugsgebiete finden. Ziegenmelker beispielsweise sind in Baden-Württemberg eine vom Aussterben bedrohte Vogelart, die sich ausschließlich von Insekten ernährt. Zudem scheint es sich auch um ein „hausgemachtes“ Problem zu handeln: Hier (wie überall in Deutschland) werden Wildschweine im Winter gefüttert. Wildschweine lieben Eicheln – und wo zu viele Eicheln gefressen werden, bleibt die Naturverjüngung aus. Engerlinge sind also nicht das alleinige Problem. Darüber hinaus ist die heimische Stieleiche großflächig durch die aus Amerika stammende Roteiche ersetzt worden, und diese wiederum wird von Maikäfern auffallend stärker beflogen als die Stieleiche. Sollten sich die Maikäferplagen aufgrund des Klimawandels häufen, rät der NABU in betroffenen Gebieten Baden-Württembergs deshalb zu umweltfreundlicheren Maßnahmen wie beispielsweise zur Beimpfung von Jungbeständen oder zur „catch-and-infect“-Methode, bei der Maikäfer-Männchen gefangen und mit einem Pilz infiziert werden. Diesen übertragen sie dann bei der Paarung auf das Weibchen.
Das verbreitete Narrativ von „Schädlings- und Nützlingsarten“ in der Diskussion um Insekten hat sich seit Jahrzehnten kaum verändert und spiegelt ein stark vereinfachtes Bild wider: Insekten werden allein nach ihrem unmittelbaren Nutzen oder Schaden für den Menschen eingeteilt, ohne dass ihre ökologische Rolle angemessen betrachtet wird. Gerade am Beispiel von Maikäfer und Junikäfer zeigt sich, wie diese anthropozentrische Sichtweise zu Fehldeutungen und teils unnötiger Bekämpfung führt.
Die öffentliche Wahrnehmung sieht Maikäfer und Junikäfer als traditionsreiche Schädlinge, dabei ist diese Rolle im modernen Privatgarten praktisch gegenstandslos geworden. Zahlreiche Studien und Behördenberichte belegen, dass die Schäden durch Maikäfer- und Junikäfer-Engerlinge in Privatgärten heute gegen Null tendieren. Die Larven benötigen offene, humusreiche und artenreiche Böden mit vielfältiger Pflanzenwelt – Bedingungen, die im Durchschnittsgarten fast überall fehlen.
Der klassische Garten war einst ein Ort der Vielfalt: Obst, Gemüse, Kräuter, Stauden und Sträucher wurden kultiviert und boten Lebensraum für zahlreiche Insektenarten, darunter auch für sämtliche Käferarten, deren Larven als Engerlinge bezeichnet werden. Im Trend der letzten Jahre aber haben sich Gärten zu funktionalen, pflegeleichten „Außenflächen“ gewandelt, häufig mit Fokus auf möglichst wenig Arbeit. Versiegelung, Schotterflächen und monotone Rasenkulturen verbannen das Leben – ein Ökosystem als solches existiert nicht mehr.
Neben einer antiquierten Schädling-Nützling-Dichothomie spielt auch das fehlende Wissen eine entscheidende Rolle, nicht nur über ökologische Zusammenhänge, sondern gerade auch über heimische Arten. Schwer vorstellbar, dass durch Fehlinformationen auf entsprechenden Webseiten gebriefte GartenbesitzerInnen beim Graben entdeckte Engerlinge auf die Art-Zugehörigkeit hin untersuchen oder flächig umgraben, um festzustellen, wie viele Engerlinge pro Quadratmeter zu finden sind, um auf die Schadensschwelle schließen zu können.
Ein grundlegendes Umdenken im Umgang mit den Begriffen „Schädling“ und „Nützling“ ist heute dringender denn je, denn jede Art ist ein Rädchen im Getriebe des Naturhaushalts. Wenn wir aus Unwissenheit oder durch einseitige Bewertungsmuster einzelne Arten ausrotten oder systematisch benachteiligen, entsteht ein Dominoeffekt, der langfristig die Stabilität ganzer Lebensgemeinschaften gefährdet. Schon heute gilt die Hälfte aller ursprünglich in Deutschland heimischen Insektenarten als gefährdet oder ausgestorben. Das Festhalten an überholten Feindbildern raubt uns wertvolle Zeit, um wirksame Schutzmaßnahmen zu ergreifen.
Lesen Sie auch
Blühstreifen könnten Apfelbauern Kosten für Schädlingsbekämpfung sparen | Pugnalom
Neonikotinoide bedrohen Biodiversität stärker als gedacht | Pugnalom
Entdecke mehr von Pugnalom
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

