Distelfalter (Vanessa cardui) sind Weltenbummler. Jährlich fliegen die Schmetterlinge, die wir in Europa beobachten, von Afrika nach Schweden und wieder zurück, wo sie sich nördlich und südlich der Sahara niederlassen. Doch was bestimmt, warum manche Falter weite Strecken reisen, während andere nur kurze Distanzen zurücklegen? Die unterschiedlichen Reisestrategien hängen von den Umweltbedingungen ab und sind nicht wie vermutet in der DNA des Schmetterlings gespeichert. Das zeigt eine neue Studie von Forschenden mit Beteiligung des Institute of Science and Technology Austria (ISTA).

Zusammen mit Citizen Science-Projekten arbeitet eine Gruppe von WissenschafterInnen des Institute of Science and Technology Austria (ISTA), der University of Ottawa, dem CSIC-CMCNB in Barcelona, dem SOS Savane, der Polytechnic Higher School of Dakar und der Technischen Universität in Darmstadt an der Entschlüsselung der Reiseroute.
Jährlich legen die Schmetterlinge 10.000 km zwischen Afrika und Europa zurück. Dabei suchen sie über mehrere Generationen hinweg nach den besten Brutbedingungen für ihre Nachkommen. „Jedes Individuum reist in einem Abschnitt des jährlichen Migrationszyklus, und dessen Nachkommen setzten dann die Reise fort“, so Shipilina weiter. Die Distelfalter beginnen ihre große Reise im Frühjahr und fliegen von Nordwestafrika aus über das Mittelmeer nach Europa. Nachfolgende Generationen machen sich anschließend auf den Weg nach Großbritannien und erreichen sogar die arktische Tundra in Schweden, um dort den Sommer zu verbringen.
Bis vor kurzem ging die Forschung davon aus, dass die Schmetterlinge, sobald sie Schweden erreichen, aufgrund des kälteren Klimas, das dort am Ende des Sommers herrscht, verenden. Studien aus den letzten Jahren zeigten jedoch, dass sie im Herbst in wärmere Regionen zurückkehren – sie folgen also einem zirkulären Migrationsmuster. Während einige von ihnen im Mittelmeerraum bleiben, reisen andere zurück nach Afrika und durchqueren sogar die Sahara.
Mithilfe von Isotopen-Geolokalisierung konnte die geografische Herkunft der einzelnen Schmetterlinge bestimmt werden. Das Schlüsselprinzip dieser Methode besteht darin, dass die Zusammensetzung der stabilen Isotope von den Flügeln eines erwachsenen Schmetterlings die Isotopensignatur der Pflanzen widerspiegelt, die er als Raupe gefressen hat. Isotope sind verschiedene Formen desselben Elements mit identischen chemischen Eigenschaften, aber leicht unterschiedlichen Atommassen.
Diese Technik wurde über Jahre hinweg von der Co-Erstautorin Megan Reich und Clement Bataille von der University of Ottawa entwickelt. Dabei testeten sie verschiedenste Isotope, verfeinerten statistische Ansätze und setzten maschinelles Lernen zur Verbesserung der Genauigkeit und Auflösung ein. Die Analyse bestätigte das unterschiedliche Reiseverhalten der Individuen: Einige Distelfalter unternahmen eine lange Reise von Skandinavien in den Süden und durchquerten die Sahara, während andere nach einer kurzen Strecke nördlich der Wüste im Mittelmeerraum blieben.
Anschließend wurden mit einer kompletten Genom-Sequenzierung DANN-Abschnitte der Individuen verglichen. Dabei entdeckten die Forschenden, dass es keinen genetischen Unterschied zwischen Kurz- und Langstrecken-Schmetterlingen gab. „Dieses Ergebnis unterscheidet sich grundlegend von dem, was bei Zugvögeln beobachtet wird“, erklärt ISTA-Forscherin Daria Shipilina. „Bei Weidenlaubsängern wurde beispielsweise festgestellt, dass eine große chromosomale Region mit unterschiedlichen Migrations-Richtungen verknüpft ist. Dies verdeutlicht, wie verschiedene Genom-Zusammensetzungen zu unterschiedlichen Phänotypen führen können.“ Außerdem konnten die Reisemuster auch nicht mit Faktoren wie dem Geschlecht, der Flügelgröße oder der Flügelform in Verbindung gebracht werden.
Wenn es nicht an den Genen liegt, könnte die phänotypische Plastizität eine mögliche Erklärung für die unterschiedlichen Migrationsstile sein. So könnten beispielsweise die Distelfalter in Schweden im Sommer durch die rasche Umstellung der Tageslänge oder andere saisonale Einflüsse dazu veranlasst werden, ihre lange Strecke über die Sahara in den Süden zu starten. Im Gegensatz dazu nehmen die Falter in Südfrankreich, wo die Tage länger sind, diese Reize nicht wahr und fliegen daher nur kurze Strecken und verbleiben im Mittelmeerraum.
Im Vergleich zu anderen Schmetterlingen, wie dem gut untersuchten Monarchfalter (Danaus plexippus), ist über die Migration des Distelfalters noch wenig bekannt. Gilt das hier beobachtete Muster auch für andere Distelfalter, die geographisch fast auf der ganzen Welt verbreitet sind? Ist dieses Phänomen einzigartig für Schmetterlinge, oder könnte es auch bei anderen Insekten beobachtet werden? Daria Shipilina vom ISTA und ihre Kolleg:innen wollen diese Wissenslücke unbedingt schließen – Schritt für Schritt.
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