Gipsunternehmen Saint-Gobain schluckt Maturix – plus Hintergrund

Durch | Juni 23, 2025

Saint-Gobain gibt den nächsten Schritt beim Ausbau seiner digitalen Plattform für Bauchemikalien bekannt: Das Unternehmen übernimmt Maturix, einen führenden Anbieter von Echtzeit-Überwachungslösungen für die Betonindustrie mit Sitz in Dänemark.

Credits: pugnalom
Credits pugnalom

Maturix bietet modernste drahtlose Sensortechnologie, die eine ferngesteuerte Echtzeitüberwachung der Betoneigenschaften während des Aushärtungs- und Abbindungsprozesses ermöglicht. Dadurch können Bauunternehmer ihre Abläufe optimieren und die Anforderungen an die Rückverfolgbarkeit vereinfachen, heißt es in einer aktuellen Pressemitteilung. Dies verkürze die Dauer des Betonbauzyklus um bis zu 50 Prozent und verbessere die Effizienz auf der Baustelle. Die Akquisition erweitere das Angebot an digitalen Lösungen von Saint-Gobain entlang der gesamten Wertschöpfungskette für Beton und Zement und ermögliche es den Kunden der Gruppe, Überdimensionierungen zu reduzieren und ihre Betriebsabläufe zu optimieren.

Maturix und Saint-Gobain arbeiten seit 2019 zusammen.

Hintergrund

Profitable Naturzerstörung – wie Konzerne Deutschlands einzigartige Gipskarstlandschaft zerstören

Die Gipskarstlandschaft des Südharzes steht vor der vollständigen Zerstörung – und das für die Profite multinationaler Konzerne. Während Saint-Gobain 2024 einen Umsatz von 46,5 Milliarden Euro erwirtschaftete und die Knauf-Gruppe (Tochterunternehmen: Rump & Salzmann) 2022 mit 15,4 Milliarden Euro zu den größten Baustoffherstellern weltweit zählt, opfert die Politik einen der wertvollsten und einzigartigsten Naturräume Europas der Renditegier der Gipsindustrie

Der Südharzer Gipskarst ist weltweit einzigartig: Er ist der einzige reich bewaldete Gipskarst der Erde und wurde als „Hotspot der Artenvielfalt“ ausgewiesen – eines von nur 30 Gebieten in Deutschland, die dieses Prädikat tragen. Über 100 Kilometer erstreckt sich diese einmalige Landschaft durch Niedersachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt. Hier leben mindestens 16 Fledermausarten, Wildkatzen erreichen maximale Siedlungsdichten, und zahlreiche gefährdete Arten finden in den wassergefüllten Erdfällen und strukturreichen Buchenwäldern ihre Heimat

Doch bereits in Niedersachsen wurden über 50 Prozent dieser einmaligen Landschaft durch Gipsabbau vernichtet. Saint-Gobain Formula betreibt gigantische Steinbrüche wie den Kalhlekopf bei Walkenried, den Trogstein bei Bad Sachsa und den Kranichstein, der bereits von den Landkarten getilgt wurde. Knauf plant nun weitere Probebohrungen mitten im FFH-Gebiet „Buntsandstein- und Gipskarstlandschaft bei Questenberg im Südharz“, obwohl das Gebiet als Naturschutzgebiet, Landschaftsschutzgebiet und Biosphärenreservat geschützt ist.

Die wirtschaftlichen Dimensionen des Raubbaus sind erschreckend: Saint-Gobain meldete für 2024 ein Betriebsergebnis von 5,3 Milliarden Euro und einen Gewinn je Aktie von 5,69 Euro. Knaufs Gipsbereich erwirtschaftete 2022 Erlöse von 11,18 Milliarden Euro – eine Steigerung um 23,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. 

Dem stehen irreversible Schäden gegenüber, deren ökologischer Wert unermesslich ist. Wissenschaftliche Studien belegen eindeutig: Eine Gipskarstlandschaft lässt sich – entgegen den Behauptungen der Gipsindustrie – nicht durch ‚Renaturierungsmaßnahmen‘ wiederherstellen. Die Verkarstung der Gipslandschaft ist ein geologischer Prozess, der über Millionen von Jahren entstanden ist und nicht repliziert werden kann.

Die Gipsindustrie bewirbt ihre sogenannten Renaturierungsmaßnahmen als Erfolgsgeschichte. Doch wissenschaftliche Untersuchungen entlarven diese Behauptungen als Greenwashing. Forschungen der Universität Granada zu Gipshabitaten nach dem Abbau beispielsweise zeigen: Die teuerste Option, das Anpflanzen, kostete 69.795,50 Euro pro Hektar, erreichte aber nur begrenzte ökologische Erfolge.

Noch gravierender: Studien zur Wiederherstellung von Ökosystemen nach Bergbau belegen, dass Artenzusammensetzung und Bodenbedingungen deutlich relevanter für die Bewertung der Ökosystemerholung sind als die üblicherweise verwendete Artenvielfalt. Die Wiederherstellung der Artenzusammensetzung dauert zwischen 60 und 212 Jahren, während Bodenparameter wie organische Substanz und pH-Wert 67 bis 111 Jahre benötigen.

Beim Abbau von Gips, Anhydrit und Dolomit (allesamt in der Gipskarstlandschaft) sind die Aussichten noch düsterer, denn biologische Bodenkrusten, ein Schlüsselelement von Gipsökosystemen, erholen sich trotz Pflanzenerholungsmaßnahmen nicht. Die charakteristischen Karstformen – Erdfälle, Dolinen, Höhlen und Bachschwinden – sind für immer verloren.

Besonders skandalös ist das Versagen der Politik. Obwohl die Karstlandschaft Südharz 2009 als Biosphärenreservat ausgewiesen wurde, und die Landesregierung offiziell eine UNESCO-Anerkennung anstrebt, plant sie gleichzeitig die Ausweitung des Gipsabbaus. Der Koalitionsvertrag der Landesregierung Sachsen-Anhalt sieht vor, Gips-Lagerstätten zu sichern und deren „umweltverträgliche“ Gewinnung zu ermöglichen.

Dabei stehen längst Alternativen zur Verfügung: Der Wiederverwertungsanteil von Gips lag 2020 lediglich bei zehn Prozent, obwohl Gips zu hundert Prozent recycelbar ist. Deutsche Abfallhalden quellen praktisch über vor Gipsmaterialien. Darüber hinaus gibt es alternative Baustoffe wie Holz, Stroh und Lehm, die zusätzlich CO2 binden und aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen – aber zu wenig gefördert werden.

Zahlen und Fakten sprechen eine klare Sprache. Während Konzerne Milliardenprofite einfahren, verschwindet unwiederbringlich ein Weltnaturerbe. Was hier geschieht, ist nicht weniger als die systematische Vernichtung eines der wertvollsten Ökosysteme Europas – für Baustoffe, die längst recycelt oder durch nachhaltige Alternativen ersetzt werden könnten. Es ist ein Skandal, der zeigt, wie wenig der Schutz der Biodiversität wiegt, wenn es um Milliardengewinne geht.


Entdecke mehr von Pugnalom

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

Autoren-Avatar
LabNews Media LLC
LabNews: Biotech. Digital Health. Life Sciences. Pugnalom: Environmental News. Nature Conservation. Climate Change. augenauf.blog: Wir beobachten Missstände

Kommentar verfassen