Überall im Land bieten sie das immer gleiche Bild: Felder, die mit einem gelblichen Teppich verrottender Pflanzen überzogen sind. Sie sind das Ergebnis eines flächendeckenden Vernichtungsfeldzugs gegen ungewollten Bewuchs. Glyphosat, im Produktnamen Roundup verewigt, hat sein Werk getan. Es soll den Boden für die nachfolgende Direktsaat vorbereiten oder die aufwändige mechanische Unkrautbekämpfung ersetzen.

Glyphosat ist das meistverkaufte und meistgenutzte Pestizid weltweit.
Seinen Siegeszug trat das umstrittene Totalherbizid mit seiner Entdeckung 1950 durch den Schweizer Chemiker Henri Martin, der für die Firma Cilag arbeitete, allerdings noch nicht an. Auch als neun Jahre später Johnson & Johnson den kleinen Pharmahersteller Cilag übernahm, war die unkrautvernichtende Wirkung von Glyphosat noch nicht bekannt. Sie wurde erst in den 1960er Jahren offenbar, als der Chemiker John E. Franz für Monsanto verschiedene Verbindungen zur Wasserhärtung testete. Bei Monsanto war es derzeit üblich, jede neue Chemikalie auch als Herbizid zu testen. Zunächst erschien Glyphosat wenig vielversprechend, da es unmittelbar nach der Anwendung keine Wirkung zeigte. Die Forscher waren gewohnt, dass Herbizide sofort wirkten, was sich im Absterben der oberirdischen Pflanzenteile bemerkbar machte: Blätter welkten, Stängel verdorrten. Nicht so bei Glyphosat. Weil es erst innerhalb der Pflanze transportiert werden muss, wirkt es zeitversetzt – dafür aber im gesamten Organismus, also auch in den Wurzeln. Dadurch wurde es möglich, nicht nur einjährige Unkräuter zu bekämpfen, sondern auch überjährige, zweijährige und ausdauernde. Warum und wie es das tat, war zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht verstanden. Auf jeden Fall erkannten Monsanto-Manager schnell das Absatzpotenzial des neuen Herbizids. 1971 erhielt der Konzern das Patent und brachte Glyphosat 1974 als „Roundup“ auf den Markt. Die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) geht davon aus, dass die weltweite jährliche Einsatzmenge von Glyphosat seit 1974 um den Faktor 265 explodierte. 2021 lag allein in Deutschland der jährliche Absatz bei rund 4.100 Tonnen.
Es kommt nicht von ungefähr, dass Monsanto einer der Pioniere in Sachen gentechnisch veränderte (GV) Pflanzen war. Ab den 1990er Jahren verfolgte das Unternehmen konsequent eine „Life-Science-Strategie“: Ziel war es, die gesamte Kette der Lebensmittelproduktion ökonomisch zu dominieren. Monsanto ließ sich nicht nur Pestizide patentieren, sondern auch gentechnisch veränderte Nutzpflanzen, die u.a. tolerant gegen diese Pestizide waren. Die Patente ermöglichten immense Lizenzeinnahmen nicht nur für das Saatgut, sondern auch für die Ernte und die Folgeprodukte. Es klang für viele Landwirte verheißend, auf so einfache Weise wie den Einsatz von bestimmten Herbiziden und GV-Pflanzen Schädlings- und Unkrautbekämpfung zu vereinfachen und Erträge zu steigern. Doch es trieb sie in eine ungeahnte Abhängigkeit, aus der sich die wenigsten lösen konnten. Monsanto wuchs zum Giganten mit einem Marktanteil bei GV-Pflanzen von 87 Prozent, bei gentechnisch verändertem Saatgut von 72 Prozent.
Das Patent für Glyphosat bestand bis 1991. Doch auch danach behielt Monsanto die Exklusivrechte in den USA. Als schließlich im Jahr 2000 auch das Patent für Isopropylaminsalz (= Glyphosatsäure + Isopropylamin) auslief, das aufgrund seiner gewünschten Eigenschaften wie gute Löslichkeit, Lagerfähigkeit und einfache Anwendung die am meisten verwendete Form des Wirkstoffs war, wurde Glyphosat auch von anderen Konzernen produziert. Heute stammen mehr als 40 Prozent der weltweiten Glyphosatproduktion aus China: insgesamt rund 760.000 Tonnen.
2018 hat der deutscher Agro-Konzern Bayer das amerikanische Konkurrenzunternehmen für 63 Milliarden US-Dollar geschluckt, was die größte Übernahme in der Geschichte eines deutschen Unternehmens darstellt. Die Übernahme war Teil von Bayers Strategie, seine Position im Agrarchemie-Sektor zu stärken und zu einem führenden Anbieter von Saatgut und Pflanzenschutzmitteln aufzusteigen. Allerdings sieht sich Bayer seit der Übernahme einem wachsenden Problem gegenüber: Anwender von Glyphosat, die an Krebs, insbesondere dem Non-Hodgkin-Syndrom, erkrankt sind, klagen gegen den Multi. Anhängig sind derzeit etwa 58.000 Klagen; bislang eingereicht wurden rund 172.000. Schätzungsweise hat Bayer bislang ca. zehn Milliarden Dollar für Vergleiche und Schadenersatzleistungen gezahlt. Hinzu kommt: Weltweit sind bereits 55 Pflanzenarten als resistent gegenüber Glyphosat dokumentiert – nicht nur die bekämpften Beikräuter, sondern auch gentechnisch veränderte Nutzpflanzen wie Soja, Mais, Baumwolle, Zuckerrüben, Raps und Luzerne.
QUELLEN
Bayer plant Abschluss der Übernahme von Monsanto für 7. Juni
Preisexplosion bei Pflanzenschutz – was können die Bauern tun? | agrarheute.com
Informationen zu Glyphosat_Druckversion
BMEL – Fragen und Antworten (FAQ) – Fragen und Antworten zu Glyphosat
Einsatzumfang von Glyphosat – LfL
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