IOW: Ostseeküste als Modell für Klimawandelfolgen

Durch | Oktober 17, 2025

Die Küsten der Ostsee dienen als Modell für die Auswirkungen des Klimawandels auf sensible Meeresökosysteme. Dies zeigt ein Übersichtsartikel unter Leitung des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde, der kürzlich in der Fachzeitschrift Estuarine, Coastal and Shelf Science erschienen ist. Der Artikel beschreibt den aktuellen Zustand der Ostseeküste und ihre erwartete Entwicklung durch den Klimawandel. Er unterstreicht die Notwendigkeit interdisziplinärer Forschung zur Untersuchung der Veränderungen in flachen Küstenzonen, insbesondere der Wechselwirkungen zwischen Küstenbereich und offenem Meer. Ziel ist die Schaffung einer Basis für Schutzmaßnahmen im Meer.

Zur Erhebung umfassender Ostsee-Datensätze als Basis für Zustands- und Klimamodellierung kommen unterschiedlichste Messsysteme zum Einsatz – wie hier ein Lander, bestückt mit modernster Sensorik für Messungen am Meeresgrund. | Quelle: S2B-Team | Copyright: IOW
Zur Erhebung umfassender Ostsee Datensätze als Basis für Zustands und Klimamodellierung kommen unterschiedlichste Messsysteme zum Einsatz wie hier ein Lander bestückt mit modernster Sensorik für Messungen am Meeresgrund | Quelle S2B Team | Copyright IOWtle

Die Ostsee ist ein sensibles Binnenmeer, das nur über das Kattegat mit der Nordsee verbunden ist und fast vollständig von Land umgeben wird. Sie gilt als eines der am stärksten anthropogen beeinflussten Meere der Welt. Im Einzugsgebiet leben 85 Millionen Menschen, was zu intensiver Nutzung führt. Aufgrund des geringen Wasseraustauschs mit dem Ozean reichern sich Nähr- und Schadstoffe an und verbleiben lange. Die Ostsee erwärmt sich schneller als der offene Ozean. Als flaches Meer besteht eine enge Wechselwirkung zwischen Meeresboden und Wasser. In den letzten Jahrzehnten hat sich der menschliche Einfluss verstärkt: Nährstoffeinträge fördern die Eutrophierung, was zu teils giftigen Algenblüten und Sauerstoffmangel führt. Im September 2025 kam es nahe Rostock zu einem massenhaften Fischsterben, vermutlich durch eine Kombination aus Eutrophierung und wetterbedingtem Auftrieb, der Sauerstoffmangel verursachte.

Der Klimawandel verstärkt die bestehenden Belastungen des Ökosystems. Erwartet werden intensivere marine Hitzewellen, häufigere Sauerstoffdefizite sowie stärkere Stürme, die den Stoffumsatz im Meer beeinflussen und Organismen schädigen. Die Folgen des Klimawandels und menschlichen Handelns treten in der Ostsee in konzentrierter Form auf. Besonderer Forschungsbedarf besteht bei den Auswirkungen auf küstennahe flache Sedimente, in denen Dauerstadien von Phytoplankton – wie einzellige Algen und Cyanobakterien, die giftige Substanzen abgeben können – sowie Eier von Zooplankton lagern. Zooplankton wie kleine Ruderfußkrebse ernährt sich von Phytoplankton und dient Fischen als Nahrung. Die Reaktion dieses küstennahen Planktons auf steigende Meerestemperaturen ist bisher wenig erforscht.

Mögliche Szenarien unter Klimawandelbedingungen umfassen eine Zunahme giftiger Algenblüten durch hohe Nährstoffeinträge und wärmeres Wasser. Sauerstoffdefizite im Tiefenwasser könnten sich durch den Abbau abgestorbener Algen verschärfen, was Todeszonen bis ins Flachwasser ausdehnt und Treibhausgase wie Methan freisetzt. Die Biodiversität im Küstenbereich könnte abnehmen, da Nutzung zunimmt, Algenbestände und Seegraswiesen schwinden und damit Habitate für bodenlebende Tiere sowie Fischbrut verloren gehen.

Interdisziplinäre Forschung ist entscheidend, um die Küstenzonen zu untersuchen und ihre Entwicklung durch langfristige Beobachtungsprogramme zu bewerten. Regelmäßige Beprobungen flacher Küstengewässer sind methodisch herausfordernd, weshalb neue Geräte und Verfahren entwickelt werden müssen. Geeignet sind verankerte Messsysteme am Meeresboden, die Daten an die Küste übermitteln, Drohnen für Probenahmen entlang der Küste, optische Fernerkundung sowie nicht-invasive Methoden wie Umwelt-DNA zur Biodiversitätsanalyse. Zudem sind Modelle erforderlich, die Stressoren wie Nährstoffeinträge, Erwärmung und Meeresspiegelanstieg räumlich hochaufgelöst kombinieren, um realistische Zukunftsszenarien für politische Entscheidungen im Meeres- und Küstenschutz zu liefern.

Am Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde wurde das Shore2Basin-Programm initiiert, das die Beobachtung flacher Küstengewässer der Ostsee vorantreibt und Methoden weiterentwickelt. Es bestehen Kooperationen zu internationalen Projekten wie CoastClim mit schwedischen und finnischen Universitäten. Im August 2025 startete die erste große Forschungsfahrt mit dem Schiff Elisabeth Mann Borgese im Rahmen dieses Programms. Weitere Fahrten zur Untersuchung flacher Küstengewässer sind für die kommenden Jahre geplant. Die gesammelten Daten sollen neue Erkenntnisse zum Flachwassersystem bringen und in die Entwicklung von Messmethoden sowie Langzeitbeobachtungsprogrammen für den Meeresschutz einfließen.

Originalpublikation:
Voss, M., Holtermann, P., Ahmerkamp, S., Arévalo Martínez, D. L., Cahill, B., Chouksey, M., Dippner, J. W., Dutz, J., Feldens, P., Geersen, J., Gentsch, K., Gogina, M., Herlemann, D., Henkel, J., Kanwischer, M., Krebs, B., Kremp, A., Malissery, A., Mars, R., Müller, J., Neubert, S., Osterholz, H., Radtke, H., Rehder, G., Romoth, K., Sass, M., Sassenhagen, I., Schmale, O., v. Thenen, M., v. Weber, M., Zielinski, O. (2025). Coastal zones of the Baltic Sea in the Anthropocene: Current state and the impact of climate change. Estuarine, Coastal and Shelf Science, 326: 109504. https://doi.org/10.1016/j.ecss.2025.109504


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LabNews: Biotech. Digital Health. Life Sciences. Pugnalom: Environmental News. Nature Conservation. Climate Change. augenauf.blog: Wir beobachten Missstände
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