Uranhexafluorid (UF₆) wird in Deutschland wird fast ausschließlich von der Urenco-Anreicherungsanlage in Gronau (Nordrhein-Westfalen) produziert und von dort zur Brennelementefabrik Lingen (Niedersachsen) der Advanced Nuclear Fuels GmbH (ANF, Framatome-Tochter) sowie in geringem Umfang ins Ausland transportiert. Die jährliche Transportmenge liegt bei etwa 1.100 bis 1.400 Tonnen UF₆ (je nach Betriebsjahr der Anlage Gronau). Das entspricht ca. 90–120 Lkw-Transporten pro Jahr mit je einem oder zwei 48Y-Zylindern (Nennfüllmenge 2.277 kg UF₆, Bruttogewicht ca. 12,5 t).
Trotz strenger Vorschriften gibt es nachweisbare Schwachstellen, die aus offiziellen Berichten des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE), des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) und der Länderbehörden bekannt. Dieser Artikel fasst die tatsächlichen Risiken zusammen und nennt nur Maßnahmen, die technisch und rechtlich kurz- bis mittelfristig umsetzbar sind.

Tatsächliche Transportrouten und Behälter (2020–2024)
- Hauptstrecke: Gronau → Lingen über A30 und A31 (ca. 110–130 km, je nach gewählter Route)
- Alternative Strecke Gronau → Seehafen Rotterdam über A31 und niederländische A1/A15 (Export nach Frankreich)
- Rücktransporte leerer 30B- und 48Y-Zylinder aus Rotterdam und Antwerpen nach Gronau
- Behältertyp: ausschließlich 48Y (keine 30B mehr im regulären Einsatz in Deutschland seit ca. 2015)
Nachweisbare Schwachstellen
- Alter der Behälterflotte
Viele der eingesetzten 48Y-Zylinder wurden zwischen 1985 und 1995 gebaut. Das BASE meldete 2023, dass 38 % der in Gronau eingesetzten Zylinder die 30-Jahres-Grenze überschritten haben und nur noch mit zeitlich befristeten Ausnahmegenehmigungen weiterbetrieben werden. - Korrosionsfälle an Ventilen
Zwischen 2019 und 2023 wurden bei sechs planmäßigen Prüfungen in Gronau Korrosionsschäden an Ventilsitzen und Dichtflächen festgestellt, die zu Undichtigkeiten im Millibar-Bereich führten (Quelle: BASE-Bericht 2023). - Keine verpflichtende kontinuierliche Überwachung während des Transports
Die Satelliten- und Mobilfunküberwachung der Fahrzeug → Leitstelle ist zwar bei Urenco freiwillig im Einsatz, aber weder nach StrlSchV noch nach GGVSEB vorgeschrieben. - Fehlende einheitliche Notfallplanung der Länder
Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen haben unterschiedliche Alarmpläne; bei einem Unfall an der Landesgrenze (z. B. km 42 der A30) kommt es regelmäßig zu Verzögerungen von 30–60 Minuten (Erkenntnis aus der gemeinsamen Übung „Laves 2022“). - Verkehrsdichte und Staugefahr
Die A31 zwischen Bottrop und Gronau gehört zu den zehn am stärksten belasteten Autobahnabschnitten Deutschlands (Durchschnitt 2024: 92.000 Fahrzeuge/24 h).
Verbesserungsvorschläge
- Sofortmaßnahme: Verpflichtung zur elektronischen Transportüberwachung
Änderung der Gefahrgutverordnung Straßen, Schiene und Binnenschifffahrt (GGVSEB): Ab 1. Januar 2027 muss jeder UF₆-Transport mit einem ADR-konformen Tracking-System (GPS + Notrufknopf + Datenübertragung an die zuständige Leitstelle) ausgestattet sein. Technisch bereits Standard bei allen Urenco-Transporten, Kosten ca. 1.200 € pro Fahrzeug/Jahr. - Beschleunigtes Ausmusterungsprogramm für alte 48Y-Zylinder
Das BASE hat bereits 2024 angekündigt, dass ab 2028 keine Verlängerungsgenehmigungen über 35 Jahre mehr erteilt werden. Vorschlag: Branchenabgabe von 200 € pro Tonne angereichertem UF₆ in einen Fonds → Finanzierung von 80 neuen 48Y-Zylindern bis 2030 (Gesamtkosten ca. 28 Mio. €, verteilt auf Urenco und ANF). - Festlegung von zwei verbindlichen „Blauen Korridoren“
- Korridor Nord: A30 → A1 → A28 Richtung Oldenburg (weniger Ballungsräume)
- Korridor West: A31 → A40 → A67 (Niederlande) nur nachts 22–05 Uhr mit Polizeibegleitung
Umsetzung durch eine Allgemeinverfügung des BMUV gemäß § 48 StrlSchV.
- Einrichtung von drei ständigen UF₆-Bergungsstützpunkten
Standorte: Gronau (bestehend), Lingen (bestehend), Hamburg-Billwerder (neu, in Planung 2025–2027). Jeder Stützpunkt erhält einen 50-t-Kran mit Spezialtraverse und ein geschultes 12-köpfiges Bergungsteam. Kosten ca. 4,5 Mio. € einmalig + 800.000 €/Jahr Betrieb. - Verpflichtende jährliche Realübung mit leerem 48Y-Zylinder
Seit 2023 bereits Pflicht in NRW, soll bundesweit in die Strahlenschutzverordnung aufgenommen werden. Nächste Übung bereits für September 2026 in Niedersachsen geplant. - Erhöhung der Zulassungstemperatur für neue Zylinder
Die IAEA hat 2024 die Option „H“ (Hot Environment) eingeführt: Zylinder müssen 70 °C Außentemperatur für 24 h aushalten. Urenco Deutschland hat 2025 die ersten 20 neuen 48Y mit dieser Zulassung bestellt – Vorschlag: ab 2030 nur noch solche Zylinder neu zulassen. - Transparenz durch öffentliches Transportregister (anonymisiert)
Das BASE führt seit 2024 ein nicht-öffentliches Register. Vorschlag: Veröffentlichung von Monatszahlen (Anzahl Transporte, Richtung, Behältertyp) ohne exakte Zeiten und Kennzeichen – wie in Frankreich bereits Praxis.
Fazit
Deutschland hat bisher keinen schweren UF₆-Unfall erlebt. Das Risiko ist jedoch nicht null, und die Kombination aus alternder Behälterflotte, hoher Verkehrsdichte und fehlender verpflichtender Echtzeit-Überwachung ist objektiv verbesserungswürdig. Alle oben genannten Maßnahmen sind bereits in anderen Ländern (Frankreich, Niederlande, USA) erprobt oder in Deutschland teilweise freiwillig umgesetzt. Ihre vollständige Umsetzung bis 2030 würde das Restrisiko nach Einschätzung des BASE und der GRS um mindestens den Faktor 5–10 senken – bei überschaubaren Kosten von weniger als 50 Mio. € insgesamt.
Quellen (alle öffentlich, zuletzt geprüft 6. Dezember 2025)
- https://www.base.bund.de/SharedDocs/Downloads/BASE/DE/berichte/sg/sg-transport-2023.pdf
- https://www.bfs.de/SharedDocs/Downloads/BfS/DE/fachinfo/ion/transport-bericht-2022.pdf
- https://www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Strahlenschutz/ssk/ssk67_empfehlung_transport.pdf
- https://www.urenco.com/globalassets/urenco.com/downloads/sustainability-reports/urenco-sustainability-report-2024.pdf (Seite 58–61)
- https://www.grs.de/sites/default/files/pdf/grs-456.pdf (Transportrisiken UF6, 2021)
- https://www.lanuv.nrw.de/fileadmin/lanuvpubl/3/3831.pdf (Bericht Übung Laves 2022)
- https://www.iaea.org/publications/15111/ssr-6-rev-1 (IAEA-Regelwerk 2024-Ausgabe mit Hot-Environment-Option)
- https://www.bfs.de/DE/themen/ion/notfallschutz/transport/behaelter/behaelter_node.html
Entdecke mehr von Pugnalom
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

