Der Jugend ist die Natur zunehmend schnurz – Studie und Kommentar

Durch | März 21, 2025

Forschende untersuchten das Wissen über einheimische Pflanzen, Vögel und Schmetterlinge und konstatieren einen Zusammenhang zwischen Alter und der Bereitschaft, sich für Fauna und Flora einzusetzen.

Credits: Polina Tankilevitch, pexels
Credits Polina Tankilevitch pexels

Die Kenntnis häufiger Tier- und Pflanzenarten, die Naturverbundenheit unter den Generationen und deren Bereitschaft, sich für die Natur einzusetzen, nehmen von älteren zu jüngeren Menschen ab. Das ist ein wesentliches Ergebnis der Studie „From nature experience to pro-conservation action: How generational amnesia and declining nature-relatedness shape behaviour intentions of adolescents and adults“. Unter Leitung von Prof. Dr. Tanja Straka und Prof. Dr. Ingo Kowarik wurde erstmals systematisch untersucht, wie sich Jugendliche, junge Erwachsene und ältere Erwachsene hinsichtlich ihres Naturkontakts, der Artenkenntnis, der Naturverbundenheit und der Bereitschaft, sich für die Natur einzusetzen, unterscheiden. Durchgeführt wurde die Studie am Institut für Ökologie der TU Berlin.

An der Studie nahmen insgesamt 600 Menschen teil: darunter 252 Berliner Jugendliche im Alter zwischen 15 und 17 Jahren sowie 215 junge Erwachsene zwischen 18 und 29 Jahren und 133 ältere Erwachsene zwischen 30 and 76 Jahren aus ganz Deutschland.

Eine weitere wichtige Erkenntnis: Trotz der Unterschiede zwischen den Altersgruppen bestand durchgängig eine direkte (oder indirekte) Verbindung zwischen Artenkenntnis, Naturverbundenheit und der Bereitschaft, sich für die Natur einzusetzen. Demnach fördert ein gutes Artenwissen die Naturverbundenheit, also die emotionale, kognitive und erfahrungsbezogene Verbundenheit mit der Natur. Ist diese erhöht, steigt wiederum die Bereitschaft, sich für die Natur einzusetzen. „Es lohnt sich also, die Artenkenntnis und Naturverbundenheit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu fördern. Dabei sollte auch die Chance genutzt werden, Wissen und Erfahrungen über Natur über Generationen hinweg weiterzugeben“, sagt Prof. Dr. Tanja Straka, die Erstautorin der Studie. Mittlerweile lehrt und forscht sie an der FU Berlin.

Wie notwendig das ist, belegen die abnehmenden Artenkenntnisse im Übergang von älteren zu jüngeren Teilnehmenden der Studie. Verschiedene Organismengruppen sind zudem unterschiedlich gut bekannt: Schmetterlinge weniger als Vögel, und Vögel weniger als Pflanzen. So können 73 Prozent der Jugendlichen die Brombeere richtig benennen, aber nur 29 Prozent die Elster und nur noch 3 Prozent den Tagfalter Kleiner Fuchs. Im Vergleich dazu erkennen 22 Prozent der älteren Erwachsenen diesen in Deutschland verbreiteten Schmetterling, 61 Prozent die Elster und 84 Prozent die Brombeere. Das bestätigt das Phänomen der ‚generational amnesia‘, das einen Verlust an Kenntnissen über die Natur im Übergang von älteren zu jüngeren Generationen annimmt.

Insgesamt sollten die 600 Teilnehmenden zwölf Arten bestimmen: Bei der Gruppe der Vögel das Rotkehlchen, die Amsel, die Elster, den Haussperling. Als Schmetterlinge den Kleinen Kohlweißling, den Zitronenfalter, das Tagpfauenauge, den Kleinen Fuchs und bei den Pflanzen die Brombeere, die Brennnessel, die Silber-Birke sowie die Rosskastanie. Die Arten, die über alle drei Gruppen hinweg am häufigsten richtig benannt wurden, waren Brennnessel (86 Prozent), Haussperling (67,3 Prozent) und Zitronenfalter (58,2 Prozent). Die Arten, die über alle drei Gruppen hinweg am seltensten richtig benannt wurden, waren die Rosskastanie (52,8 Prozent), die Elster (41,5 Prozent) und der Kleine Fuchs (10,8 Prozent). Keine der zwölf Arten wurde von allen TeilnehmerInnen richtig benannt.

Weiterhin sollten die TeilnehmerInnen Angaben zur Häufigkeit ihrer Grünflächenbesuche machen sowie dazu, inwieweit sie sich mit der Natur verbunden fühlen und sich für sie einsetzen würden. Während es bei der Häufigkeit der Grünflächenbesuche keine Unterschiede zwischen den Altersgruppen gab, nahmen die Naturverbundenheit und die Bereitschaft, sich für die Natur einzusetzen, signifikant von älteren hin zu jüngeren Teilnehmenden ab. Der Wert für Naturverbundenheit sank von 3,98 auf 3,09, und der Wert für die Bereitschaft, sich für die Natur einzusetzen, betrug 3,76 bei älteren Erwachsenen, aber nur noch 2,82 bei Jugendlichen.

„Der Schutz der biologischen Vielfalt ist eine Herausforderung für heutige und zukünftige Generationen – auf globaler wie lokaler Ebene. Viele Studien haben nachgewiesen, wie wichtig Naturerfahrungen, eine emotionale Verbindung zur Natur sowie Wissen über Tier- und Pflanzenarten sind, damit Menschen sich für die Natur einsetzen. Allerdings wurde auch gezeigt, dass aufgrund veränderter Lebensstile Kinder und Jugendliche häufig weniger Kontakt zur Natur haben und auch weniger als Erwachsene über Natur wissen. Damit wird die Befürchtung verbunden, dass sich zukünftige Generationen weniger für die Erhaltung der Natur einsetzen werden“, sagt Prof. Dr. Tanja Straka.

Ein überraschendes Ergebnis der Berliner Studie kam bei der Auswertung der Häufigkeit des Grünflächenbesuchs zutage, ein etablierter Indikator für Naturerfahrungen. Anders als erwartet, gab es hier keine Unterschiede zwischen den Altersgruppen. „Die Bereitstellung von Grünflächen und anderen naturnahen Gebieten in Städten reicht nicht aus, wenn wir Naturerfahrungen und die damit verbundenen positiven Effekte für Naturverbundenheit und Einsatzbereitschaft für die Natur fördern wollen“, sagt Prof. Dr. Ingo Kowarik, der von 1999 bis 2021 das Fachgebiet Ökosystemkunde, insbes. Pflanzenökologie der TU Berlin leitete. Insofern lege die Berliner Studie, so der Ökologe, zwei Konsequenzen nahe: „Die erste ist, verstärkt Zugänge zur Kenntnis unterschiedlicher Organismengruppen zu vermitteln, vom Kindergarten bis hin zur universitären Ausbildung. Die zweite Schlussfolgerung: Besonders Kinder und Jugendliche sollten darin unterstützt werden, sich nicht nur im Grünen aufzuhalten, sondern dort auch über die Natur zu lernen und positive emotionale Erfahrungen mit Natur zu gewinnen.“

Weiterführende Informationen

Link zur online frei verfügbaren Veröffentlichung „From nature experience to pro-conservation action: How generational amnesia and declining nature-relatedness shape behaviour intentions of adolescents and adults

KOMMENTAR

„Was ich nicht kenne, schütze ich nicht.“

Diese Aussage lässt sich als Essenz zahlreicher Studien zum wachsenden Desinteresse von Kindern, Jugendlichen und auch Erwachsenen an Natur, Umwelt und ökologischen Zusammenhängen verstehen – ein Phänomen, das in drastischem Kontrast zur steigenden Bildschirmzeit steht.

Eine Studie aus der Napf-Region in der Schweiz zeigt, dass Kinder und Jugendliche im Durchschnitt nur 25 Pflanzenarten auflisten können. Obwohl dies mehr ist als bei Stadtkindern, offenbart es dennoch erhebliche Lücken im Wissen über die lokale Pflanzenwelt. Typische einheimische Arten wie Gräser, Klee und Farne konnten von Kindern nur allgemein benannt werden, ohne spezifische Artenkenntnisse. Auch bei Bäumen und auffälligen, in vielen Kinderbüchern vorkommende Pflanzen wie zum Beispiel der Sonnenblume (Helianthus annuus), zeigen sich Wissenslücken.

Was die Tierwelt betrifft, sind die Ergebnisse entsprechender Studien kaum besser. Forscher verzeichnen permanent eine Verschlechterung über die Jahre: Das Wissen über die heimische Tierwelt stirbt. Beispielsweise stellte eine Untersuchung der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) von 2021 fest, dass bayerische Sechstklässler im Durchschnitt nur 14 von 25 gezeigten Tierarten korrekt benennen konnten.

Ähnliche Ergebnisse lieferte eine Untersuchung von Thomas Gerl aus dem Jahr 2018, die im Rahmen des Projekts „Biodiversität im Schulalltag“ (BISA) lief. Gerl unterrichtet am Ludwig-Thoma-Gymnasium in Prien am Chiemsee und ist als Fachreferent für Chemie beim Ministerialbeauftragten für die Gymnasien in Oberbayern tätig. Er hatte damals knapp 2.000 SchülerInnen im Alter zwischen zehn und 19 Jahren in Bayern befragt und sich dabei insbesondere auf Vogelarten fokussiert. Die Ergebnisse waren ernüchternd: Gymnasiasten konnten im Schnitt lediglich 5 von 15 der häufigsten Singvogelarten korrekt benennen, darunter Arten wie die Amsel (Turdus merula) oder die Kohlmeise (Parus major). Im Vergleich zu einer ähnlichen Untersuchung aus dem Jahr 2007 zeigte sich ein Rückgang der Artenkenntnis um fast 20 Prozent. Diese Zahlen verdeutlichen, dass selbst häufige und leicht erkennbare Tierarten unter Jugendlichen zunehmend unbekannt sind.

International kommen Forscher zu ähnlich erschreckenden Ergebnissen. Einer Studie aus Sydney, Australien zufolge gaben lediglich 28 Prozent der befragten Schüler an, die Natur sei für sie wichtig. Die Naturverbundenheit nahm mit zunehmendem Alter ab: Jüngere Schüler zwischen acht und elf Jahren fühlten sich der Natur mehr verbunden als ältere zwischen zwölf und 14 Jahren.

Im Gegensatz dazu steigt die durchschnittliche Bildschirmzeit von Jugendlichen stetig an. Aktuelle Daten aus den USA zeigen, dass Teenager täglich durchschnittlich sieben Stunden und 22 Minuten vor Bildschirmen verbringen, was 43 Prozent ihrer Wachzeit entspricht. Seit 2015 hat sich die Bildschirmzeit bei amerikanischen Teenagern um fast zwei Stunden erhöht und liegt nun bei 8 Stunden und 39 Minuten täglich. In Deutschland verbringen zwölf bis 19jährige durchschnittlich 3,5 Stunden mit dem Smartphone, wobei auch hierzulande die Zeit mit zunehmendem Alter immer weiter ansteigt. Hinzu kommt noch die Zeit, die mit Video- und Computerspielen und vor dem Fernseher verbracht wird.

Diese Entwicklung ist besorgniserregend, da sie zu einer vollkommenen Entfremdung von der Natur führt. Doch wer, wenn nicht Eltern und Lehrer, ist dafür verantwortlich?

Studien zeigen, dass Eltern, die selbst wenig Interesse an der Natur haben, kaum als Vorbilder für ihre Kinder fungieren können. Gleiches gilt für Lehrer: Immerhin verbringen Kinder und Jugendliche jeden Tag mehrere Stunden in der Schule – durchschnittlich neun oder bis zu 13 Jahre lang.

Eine Untersuchung von Passmore et al. (2020) zeigt, dass die Naturverbundenheit von Kindern stark mit der Naturverbundenheit ihrer Eltern korreliert. Kinder, deren Eltern eine geringe Affinität zur Natur aufweisen, entwickeln seltener eine emotionale Bindung zur natürlichen Umwelt. Dies hat weitreichende Folgen: Ohne diese Verbindung zur Natur fehlt oft auch das Interesse an ökologischen Themen und der Wille, sich für den Naturschutz einzusetzen. Zudem hatten die Forschenden festgestellt, dass Kinder mit Eltern, die negative Einstellungen gegenüber der Natur haben, häufiger sogenannte Biophobie entwickeln – eine Abneigung oder Angst vor natürlichen Umgebungen.

Auch Lehrer spielen eine zentrale Rolle in der Vermittlung von Naturwissen und -erfahrungen. Allerdings zeigt sich, dass viele Pädagogen selbst kaum Interesse an der Natur haben oder nicht ausreichend geschult sind, um Schülern ökologische Zusammenhänge näherzubringen. Studien wie jene von Waite (2020) betonen zwar die positiven Effekte naturbasierter Lernprogramme auf Schüler, doch scheitert deren Umsetzung oft an mangelnder Unterstützung oder Motivation seitens der Lehrkräfte.

Ein weiterer kritischer Punkt ist das Verhalten vieler Eltern im digitalen Zeitalter. Eine Studie von Mockovčáková und Barrable (2024) verdeutlicht, dass Eltern immer häufiger digitale Geräte als „Babysitter“ einsetzen, anstatt aktiv Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Bildschirmnutzung reduziert nicht nur die direkte Kommunikation innerhalb der Familie, sondern verdrängt auch Aktivitäten im Freien. Während Kinder früher mit ihren Eltern in Wäldern spielten oder Tiere beobachteten, verbringen sie heute viele Stunden vor Tablets oder Smartphones – oft ohne elterliche Begleitung oder Kontrolle. Diese Entwicklung wurde insbesondere während der COVID-19-Pandemie verstärkt, wie eine qualitative Studie von Humphreys et al. (2022) zeigt: Viele Familien lockerten ihre Regeln zur Bildschirmzeit drastisch, um Homeoffice und Homeschooling zu ermöglichen.

Die Nachteile dieser Entwicklung sind gravierend. Studien wie jene von Otto und Pensini (2017) belegen, dass direkte Naturerfahrungen essenziell für die Entwicklung einer emotionalen Verbindung zur Umwelt sind – eine Voraussetzung für umweltbewusstes Verhalten. Digitale Technologien hingegen fördern zwar den Zugang zu Wissen, ersetzen aber nicht die positiven Effekte realer Naturerlebnisse auf das Wohlbefinden und die kognitive Entwicklung von Kindern.

Eltern und Lehrer tragen eine enorme Verantwortung als Vorbilder für Kinder. Ihr eigenes Desinteresse an der Natur sowie die zunehmende Abhängigkeit von digitalen Medien gefährden nicht nur die Bindung junger Menschen zur Umwelt, sondern auch deren langfristige Bereitschaft, sich für den Naturschutz einzusetzen. Es braucht daher dringend Bildungsprogramme und Initiativen, die sowohl Erwachsene als auch Kinder wieder stärker mit der Natur verbinden – denn nur durch gemeinsames Erleben kann ein nachhaltiges Umweltbewusstsein entstehen. Ohne ein aktives Interesse und Engagement für den Naturschutz aber droht ein Teufelskreis aus Artensterben, Klimawandel und Ökosystemzerstörung, der sich letztlich selbst verstärkt und unumkehrbare Folgen für den Planeten und die Menschheit haben wird.

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