Durchbruch bei der Bekämpfung invasiver Schaderreger: Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) und des gemeinsamen Zentrums für Nukleartechniken in Ernährung und Landwirtschaft der FAO und der IAEA in Seibersdorf (Österreich) hat ein langjähriges Rätsel der Insektenbiotechnologie gelöst. Erstmals konnte das Gen identifiziert werden, das dafür sorgt, dass die Weibchen der Mittelmeerfruchtfliege (Ceratitis capitata) sich nach einer Hitzebehandlung nicht weiterentwickeln. Die Entdeckung des Gens, das hinter dem temperaturabhängigen Letalitäts-Phänomen (tsl) steht, ist ein entscheidender Schritt für die Weiterentwicklung der Sterilen Insektentechnik (SIT), einer umweltfreundlichen Methode zur Schaderregerbekämpfung.

Die Sterile Insektentechnik ist über ein Jahrhundert alt: Bereits 1916 wurden Insekten erstmals durch Röntgenstrahlen sterilisiert. In den 1950er-Jahren wurde SIT erfolgreich zur Bekämpfung des Neuwelt-Schraubenwurms in den USA eingesetzt. Seither hat sich SIT weltweit als zielgerichtete Methode zur Unterdrückung invasiver Insektenpopulationen in Landwirtschaft, Tierhaltung und Gesundheit etabliert. Die Effizienz und Wirtschaftlichkeit der Methode hängen jedoch maßgeblich davon ab, männliche und weibliche Tiere zuverlässig zu trennen, da nur sterile Männchen freigesetzt werden.
Ein Durchbruch gelang Ende der 1980er-Jahre im Insect Pest Control Laboratory in Seibersdorf mit der Entdeckung der tsl-Mutation und der anschließenden Entwicklung eines genetischen Verfahrens zur Geschlechtsseparation bei Ceratitis capitata. Weibliche Nachkommen sterben dabei im Embryonalstadium nach kurzer Hitzeeinwirkung. Dies ermöglichte die massenhafte Zucht männlicher Fliegen. Das zugrunde liegende Gen blieb jedoch über drei Jahrzehnte unbekannt, was eine Übertragung des Verfahrens auf andere Arten behinderte.
Nach jahrelanger molekularbiologischer Forschung ist nun der Durchbruch gelungen: Das Forschungsteam identifizierte eine Punktmutation im Gen der Lysyl-tRNA-Synthetase (LysRS), das in Insektenarten hoch konserviert ist. Mithilfe von Genom-Editierung wurde diese Mutation in Wildtyp-Linien eingeführt – mit demselben Ergebnis: Nach kurzer Hitzeeinwirkung entwickeln sich ausschließlich Männchen. Damit ist erstmals die genetische Grundlage der temperaturabhängigen Letalität eindeutig beschrieben und kann auf andere Schädlinge mit Bedeutung für Landwirtschaft und Gesundheit übertragen werden.
Kostas Bourtzis, Molekularbiologe in der Insect Pest Control Sektion des FAO/IAEA-Zentrums und Mitautor der Studie, erklärt: „Diese Entdeckung ist ein echter Meilenstein. Nach über 35 Jahren Forschung verfügen wir nun über ein präzises molekulares Werkzeug für temperaturabhängige Letalität. Dies eröffnet neue Möglichkeiten, genetische Geschlechtsseparation bei zahlreichen Insektenarten mit landwirtschaftlicher, veterinärmedizinischer oder medizinischer Relevanz zu etablieren – ein wichtiger Fortschritt für weltweite SIT-Programme.“
Marc F. Schetelig, Professor für Insektenbiotechnologie im Pflanzenschutz an der JLU, Co-Lead des neu gegründeten „Liebig Centre for Agroecology and Climate Impact Research“ und Mitautor der Studie, ergänzt: „Mit der Identifizierung des tsl-Gens schließen wir eine zentrale Wissenslücke, die lange eine Ausweitung der genetischen Geschlechtsseparation über die Mittelmeerfruchtfliege hinaus verhindert hat. Dies ebnet den Weg für hochspezifische und nachhaltige Strategien zur Insektenbekämpfung – ganz ohne chemische Insektizide.“
Die Studie verdeutlicht die enge strategische Partnerschaft zwischen der JLU und dem gemeinsamen FAO/IAEA-Zentrum. Mit der Benennung des „Liebig Centre for Agroecology and Climate Impact Research“ als offizielles Kooperationszentrum der IAEA wird diese Zusammenarbeit weiter gestärkt – mit dem Ziel, gemeinsam biotechnologische Werkzeuge für eine nachhaltige Schädlingsbekämpfung weltweit zu entwickeln.
Originalpublikation
R.A. Aumann, G. Gouvi, M. Gregoriou, T. Rehling, G. Sollazzo, K. Bourtzis, & M.F. Schetelig, Decoding and engineering temperature-sensitive lethality in Ceratitis capitata for pest control, Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 122 (28) e2503604122, https://doi.org/10.1073/pnas.2503604122 (2025)
Hintergrund
Die Sterile Insektentechnologie (englisch: Sterile Insect Technique, SIT) ist eine Methode zur biologischen Schädlingsbekämpfung. Ziel ist es, Populationen schädlicher Insektenarten gezielt zu dezimieren oder sogar auszurotten, ohne dabei auf chemische Insektizide zurückzugreifen.
Bisherige Schritte:
- Massenaufzucht: Die Ziel-Schadinsekten werden in großer Zahl im Labor gezüchtet.
- Sterilisation: Die männlichen Tiere werden sterilisiert – meist durch Bestrahlung mit Gamma- oder Röntgenstrahlen, seltener durch Chemikalien oder gentechnische Verfahren.
- Freilassung: Die sterilisierten Männchen werden in das betroffene Gebiet freigelassen.
- Paarung: Die sterilen Männchen paaren sich mit wilden Weibchen derselben Art.
- Effekt: Da die Männchen steril sind, entstehen keine Nachkommen. Die Population der Schädlinge sinkt mit jeder Generation weiter ab, bis sie stark dezimiert oder ausgelöscht ist.
Die Vorteile der Methode: Die SIT ist sehr spezifisch, da sie nur auf die Zielart wirkt. Damit hat sie – zumindest unmittelbar – keine negativen Auswirkungen auf andere Arten oder die Umwelt. Zudem kann sie den Einsatz von Insektiziden eindämmen helfen.
Die Nachteile der Methode: Es besteht Forschungsbedarf, was die mittelbaren Auswirkungen betrifft; jede Spezies muss einzeln betrachtet werden. Sollten einheimische Schaderreger per SIT bekämpft werden, stellt sich die Frage, inwiefern Nahrungsnetze und ökologische Zusammenhänge beeinflusst werden.
In der modernen Forschung gibt es auch gentechnisch basierte Varianten der SIT. Hierbei werden Insekten gentechnisch so verändert, dass sie nach der Freilassung und Paarung mit wildlebenden Weibchen keine oder nicht lebensfähige Nachkommen zeugen. Beispiel: RIDL-Methode (englisch: Release of Insects carrying a Dominant Lethal), bei der ein tödliches Gen in das Erbgut eingebracht wird, das die Nachkommen im Larvenstadium absterben lässt.
Auf diese Weise gentechnisch veränderte Insekten wurden weltweit bereits eingesetzt, zum Beispiel gab es Freisetzungsversuche von gentechnisch veränderten Tigermücken in Brasilien, auf den Kaimaninseln, in Malaysia und Florida. Die Auswirkung der Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismus ist nicht ausreichend erforscht und heftig umstritten. Zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen die Risiken einer Freisetzung:
- Risiko der unkontrollierten Ausbreitung
- Risiko der Hybridisierung mit Wildarten
- Risiko für die Biodiversität
- Risiko der Resistenzbildung
- Risiko des horizontalen und vertikalen Gentransfers
- Gesundheitsrisiken
- Nicht vorhersagbare Effekte
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