Die Diskrepanz zwischen den theoretischen Bekundungen zur Bekämpfung des Klimawandels und des Biodiversitätsverlusts und den tatsächlichen Aktivitäten ist frappierend und besorgniserregend.

Einerseits zeigen Umfragen und Studien ein wachsendes Bewusstsein für die Dringlichkeit dieser Probleme. Laut dem Global Carbon Budget 2024 haben die globalen CO2-Emissionen aus fossilen Brennstoffen und Zement im Jahr 2024 einen neuen Rekordwert von 37,4 Milliarden Tonnen CO2 erreicht. Dies steht in krassem Widerspruch zu den Zielen des Pariser Abkommens und den zahlreichen Absichtserklärungen von Regierungen und Unternehmen.
Die praktische Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen hinkt den Erkenntnissen und Bekundungen weit hinterher. In Deutschland wurden beispielsweise bislang nur etwa 70.000 Hektar Moore wiedervernässt, obwohl dies eine effektive Maßnahme zur CO2-Reduktion darstellt. Die jährliche Wiedervernässungsrate von 1.000 bis 2.000 Hektar ist bei weitem nicht ausreichend, um die Klimaziele zu erreichen.
Ein Hauptgrund für den Widerspruch zwischen den sich kumulierenden Problemen und der Bereitschaft, umgehend etwas zu ändern, liegt im mangelnden Engagement der westlichen Gesellschaften, ihre ressourcenintensive Lebensweise grundlegend zu ändern. Trotz des Wissens um die negativen Auswirkungen auf Klima und Biodiversität zeigt sich eine anhaltende Konsumorientiertheit und Reisefreudigkeit. Die Untersuchung zum Thema Klimawandel und Biodiversität im Fernsehen der von Maria und Elisabeth Furtwängler gegründeten Malisa Stiftung verdeutlicht, dass zwar ein Interesse an diesen Themen besteht, aber das tatsächliche Bestreben zu tiefgreifenden Verhaltensänderungen minimal ist.
Die Komplexität und Langfristigkeit der einzelnen Prozesse erschweren zudem die Mobilisierung breiter Bevölkerungsschichten für aktives Engagement. Während kurzfristige Krisen schnelle Reaktionen hervorrufen, geraten die langfristigen Probleme des Klimawandels und Biodiversitätsverlusts in den Hintergrund. Sie scheinen zu weit weg zu sein, als dass man sich darum persönlich kümmern müsste: Appelle genügen.
Es zeigt sich eine alarmierende Kluft zwischen Wissen und Handeln. Trotz der Erkenntnis, dass gesunde Ökosysteme wie Wälder, Meere und Moore große Mengen an Treibhausgasen speichern, schreitet die Zerstörung dieser Lebensräume unaufhörlich voran. Weiträumige Abholzung von Wäldern und Feldgehölzen sowie die Umnutzung von Auen und Wiesen sind für diesen Widerspruch ebenso prägnante Beispiele wie der Vorrang wirtschaftlicher Interessen gegenüber dem Bestand von Naturschutz- und anderen schützenswerten Gebieten. Die kaum zu überblickenden Zahlen und Fakten allein aus Europa sprechen für sich. An dieser Stelle nur zwei Beispiele:
- KARPATEN: 90 Prozent der gesamten Urwälder befanden sich ursprünglich allein im rumänischen Teil der Karpaten. In einigen Natura-2000-Gebieten wie Apuseni, Maramures, Fagaras oder Someşul Rece wurden ganze Bergrücken und Gebirgs-Täler entwaldet. Verantwortlich sind u.a. die Firmen HS Timber Group (vormals Schweighofer), Egger, Kronospan und Swiss Krono. Bei den meisten dieser Firmen ist IKEA der größte Abnehmer. Greenpeace fand in IKEA-Filialen in 13 Ländern mehr als 30 verschiedene Produkte, die von Herstellern produziert wurden, die mit der Zerstörung schützenswerter Wälder in den Karpaten in Verbindung gebracht werden.
- GIPSKARSTLANDSCHAFT: Die ursprüngliche Gipskarstlandschaft erstreckte sich über eine Länge von etwa 100 km und eine Breite von drei bis 7 km entlang des südlichen Harzrandes durch Niedersachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt. Der von den Behörden genehmigte und von der örtlichen Politik oft aktiv unterstützte Abbau von Gips, Dolomit und Anhydrit zerstört das europaweit größte und bedeutendste Gipskarstgebiet. Dabei ist die Gipskarstlandschaft einer der 30 Hotspots der Artenvielfalt in Deutschland und umfasst mehrere FFH-Lebensraumtypen (u.a. 3180, 6110, 6210). In Niedersachsen sind bereits mehr als 50 Prozent der Flächen abgebaut. Allein zwischen Osterode am Harz und Walkenried im Landkreis Göttingen (Niedersachsen) wird derzeit auf einer Fläche von über 570 Hektar Gips abgebaut.
Letztlich sind tiefgreifende strukturelle Veränderungen und ein Umdenken in Wirtschaft und Gesellschaft notwendig. Es reicht nicht aus, lediglich Lippenbekenntnisse abzugeben oder marginale Anpassungen vorzunehmen. Vielmehr bedarf es einer grundlegenden Transformation unserer Produktions- und Konsummuster sowie einer Neuausrichtung unserer Wertesysteme hin zu echter Nachhaltigkeit und Respekt für die natürlichen Lebensgrundlagen.
Die Zeit drängt, und die Kluft zwischen Erkenntnis und Handeln muss dringend geschlossen werden, um die katastrophalen Folgen des Klimawandels und des Biodiversitätsverlusts abzuwenden. Nur durch entschlossenes und konsequentes Handeln auf allen Ebenen – von der individuellen bis zur globalen – können wir hoffen, die schon heute sichtbaren existenziellen Bedrohungen zu bewältigen.
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